Verschiedenes über Palfries

Die Alp Balfries ist die schönste und grösste Privatstossalp in der Herrschaft Wartau, und enthält 447 Stösse. Sie hat 4 Sennhütten und wird mit allerley Vieh benutzt. Gegen Morgen gränzt sie an Tschucken, gegen Mittag an die gegen das Sarganserland liegende Bergkette, gegen Abend an die ins Sarganserland gehörende Alp Mallun, gegen Mitternacht auf ein Berggipfel, welcher der Alvier genennt wird, weil 4 Alpen, nämlich Balfries, Mallun, die Oberschaner Alp und Matschull, daran stossen, und der höchste Berg auf diesem Gebirge ist.
Es ist merkwürdig, dass diese hohe Alp in uralten Zeiten überall mit vielen Häusern besetzt und Sommer und Winter stark bewohnt war, ja dass man sogar noch sehr alte pergamentene Alpenbücher ohne Jahrzahl besitzt, worin deutlich verzeichnet steht, wie die Alpgenossen in Balfries ihre Alp vergrössert und mehrere Häuser und Güter nach einander angekauft und zur Alp geschlagen haben. Eben so sieht man noch jetzo sehr viele Plätze, wo Häuser, Ställe und Wasserleitungen standen. Dies bestätigen auch die Gemeindebücher und andere Urkunden, indem viele sich in das Gemeindrecht im Thale einkauften, und Verzicht auf ihre vorigen Freyheiten auf dem Berge thun mussten. Ja sogar gegenwärtig befinden sich noch 4 Haushaltungen auf dieser Alp, die Sommer und Winter daselbst wohnen, und eigene auf der Alp eingeschlagene Güter besitzen. Diese Aelpler wurden bis zur Aufhebung der Landvogteyen in der Schweiz, welche Ao. 1798 erfolgte, die freyen Walser genennt, weil sie von einigen Abgaben an den Landvogt z. E. vom Leibfahl, Fastnachtshühnern, und Tagmolken befreyt waren, denen sich die Thalbewohner unterziehen mussten. In den leztverflossenen Revolutionsjahren waren diese Aelpler in Absicht der Militärlasten gegen den an Landstrassen wohnenden Thalbewohner glükliche Leute. Vielleicht sind die Menschen in jenen uralten Zeiten der Barbarey, wo das Faustrecht geltend war, oder wo von streifenden Horden die niedrigen Gegenden und Dörfer beunruhigt wurden, aus der gleichen Ursache um eine sichere Freystätte zu finden, in diese höhern Gegenden hinaufgezogen; nachher aber in einer ruhigeren und besseren Lage vertauschten ihre Nachkömmlinge wieder die wildere Gegend mit dem sanfteren Thalgelände.
Auf dieser Alp müssen in ehmaligen Zeiten grosse Strecken mit Tannenwaldungen besezt gewesen seyn, indem man jetzt noch hin und wieder einzelne dürre Tannenbäume stehend und liegend auf derselben antrift; gegenwärtig liegt sie aber ganz über der Region des Holzwuchses.
Neben den vier Sennhütten dieser Alp sind einzelne kleine Wiesenplätze eingezäunt, auf welchen die Sennen Heu einsammeln, und dasselbe dann zu Ende des Sommers mit dem Rindvieh, und namentlich mit den Milchkühen aufbrauchen. Auch leistet es den Hirten alsdann, wenn zu Ende des Sommers ein früher Schnee den Alpenboden bedekt, grosse Dienste.
(Quelle: „Beschreibung der Schweizerischen Alpen- und Landwirthschaft“, 1804, Johann Rudolf Steinmüller)

In Balfries, einer schönen, fast ebenen Alp am aussichtsreichen Alvier, die über 600 Stösse zählt, befand sich ehemals ein Dörfchen von 14 Häusern und einer Kapelle (auch am nahen Walserberge und auf Matug standen solche), darunter ein gewaltiges Gebäude mit 30 Zimmern. Die schönsten uralten Tannenwälder bedeckten seine Hochflächen und hielten die kalten Winde ab. Riesenstarke Leute wohnten dort, die führten das freieste Leben; denn sie hatten zahlreiche Heerden und auch die Jagd war ergiebig; so assen sie denn nichts als Fleisch, Butter und Käse und tranken Rahm und Milch dazu, so viel Haut und Bauch fassen konnte; von geistiger Anstrengung bekamen sie natürlich nie Kopfschmerz; ja die Buben hatten so harte Schädel, dass sie mit den Schafen und Ziegen manchen Stosskampf aufnahmen. An der Sonne oder am Herdfeuer liegen, essen und trinken, das Vieh besorgen, Holz spalten und jagen, das war ihre Beschäftigung von Anfang bis Ende ihres Lebens. Der Stärkste dieser Starken war der Benedikt. Einst trug er ein gewöhnliches Fass Salz vom Thale aus ohne auszuruhen auf dem Rücken nach Balfries (3 Std.); noch grösser war aber seine Leistung beim Bau des grossen Hauses. Da trug er das dicke, 50’ lange Haupt«trämt» (Balken) der Stuben- und Küchendiele allein auf dem Rücken aus dem Walde zur Baustelle – eine Last, an der jetzt 4 baumstarke Mannen verzweifeln würden. Durch die schonungslose Ausreutung der Wälder von oben herab und um das Dörfchen verschlimmerte sich aber das Klima von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und als einst in einem Winter der «Gschirbletz» (das Waschtuch der Küchengeschirre) gefror, so sagten sich die Balfrieser: «Jetz isch Zit z’wiiche.» Sie siedelten sich nach und nach bei ihren Gemeindsgenossen in Wartau an und ihr Dorf verfiel dem Zahn der Verwitterung; nur ein Haus blieb als Sennhütte erhalten. Da sie aber in ihrer frühern Abgeschiedenheit katholisch geblieben waren und jetzt nur wenige von ihnen Lust zeigten, zu Zwinglis Lehre überzutreten, so suchte die Gemeinde ihrer los zu werden, damit sie nicht dereinst gezwungen werde, pekuniäre Opfer für ihre Kirche zu bringen. Sie kaufte daher einige aus dem Bürgerrechte aus und spedirte die letzten vor einigen Jahren mit bedeutender Unterstützung nach Amerika.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

Sagen über die alten Palfrieser.

Palfries war einst von den freien Walsern bewohnt. Am Eingang der Alp hatte der “Kammjos” sein Heimwesen. Eines Morgens kam dessen Tochter aus der Küche in die Stube hereingesprungen und rief mit dem Ausdruck grosser Verwunderung: “Du, Vater, d’s Wasser hät gnidlet!” Es hatte nämlich eine Eiskruste bekommen. Der Vater wurde darob recht ernsthaft und erwiderte: “Soa, soa, jetz chunn die böasa Joahr; jetz müessen mer wicha!” Und so verliessen sie ihre Berge und zogen ins Tal herunter.
Länger hielten sich ihre Verwandten am Walserberg. Noch in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde im “Wieslihaus” Schule gehalten. Heute aber wohnt auch dort für das ganze Jahr keine Seele mehr. (U. Adank)

Hier wohnten auch die Schuhmacher, die sich später in Sargans niedergelassen haben.

Eine Frau aus diesem Geschlechte habe einst einen Lägel Wein von Sargans durch die Spina nach Palfries hinaufgetragen, ohne unterwegs auszuruhen. (J. Ch. Berger)

Ein alter Palfrieser war so stark, dass er alles Holz zu seinem Hausbau allein auf den Schultern aus dem Wald herbeitrug. Bei der nächsten Hütte hatte sich ein fremder Hirt niedergelassen, dessen Stier oft in den Hof des Palfriesers einbrach. Der Palfrieser sagte dem Hirten, er solle seinen Stier besser hüten. Der andere aber höhnte ihn nur und erfrechte sich sogar, ihm den Hut vom Kopf zu schlagen. Da nahm ihn der Palfrieser unter den Arm, trug ihn zum Hute hin und befahl ihm, diesen aufzulesen. Der Hirt aber tat keinen Schnauf mehr; der Starke hatte ihn erdrückt. (J. B. Stoop)

Zum Alvier-Panorama

Stehen wir an einem sonnigen Morgen im vielbesuchten Ragaz und lassen unsern Blick über die wunderherrliche Umgebung gleiten, so eröffnet sich uns nach Norden das prächtige Rheinthal, beidseitig von imposanten Gebirgsformen begrenzt, die infolge ihrer harmonischen Gruppirung ein Gesammtbild ergeben, wie es imposanter, überwältigender und anmuthiger zumal wohl schwerlich wieder zu treffen wäre.

Zwei dieser Formen sind es vorwiegend, die unsern Blick fesseln; einerseits der felsstarrende Falknis, anderseits aber die pittoreske Alvierkette, die uns als ihre letzten Ausläufer noch die Gauschla (2312 m) und den Gonzen (1833 m), der in jähem Absturze unmittelbar bei Sargans die Thalsohle erreicht, entgegensendet.

Diese Kette ist eigentlich blos die nach Südosten abbiegende Fortsetzung der Churfirstenkette und bietet infolge ihrer isolirten Lage eine Fülle von Aussichtspunkten, deren einige getrost mit den berühmtesten der Schweiz von gleicher Höhe sich messen dürfen.

Die Gipfelpartien der ganzen Kette gehören durchweg der Kreideformation, das Fussgestell der jurassischen an; vom Rheinthal, sowie vom Toggenburg aus steigen die Schichten allmälig an, um in imposantem Absturze dem Wallensee die Schichtenköpfe zu weisen. Der höchste Punkt der ganzen Kette ist die Faulfirst (2413 m), deren Rundsicht aber von der des weiter südöstlich gelegenen, nur wenig niedrigeren Alvier (2363 m) bedeutend übertroffen wird. Das ganze Gebiet ist Freiberg und beherbergt nach der Zählung der Wildhüter weit über 200 Gemsen, so dass sich sehr oft Gelegenheit bietet, die munteren Thiere zu belauschen.

Die Besteigung des Alviers selbst ist absolut leicht und gefahrlos, steigt doch an schönen Sonntagen das Landvolk zu Hunderten dem Gipfel zu, um den Sonnenaufgang zu geniessen. Lange wurde der prächtige Berg fast ganz vernachlässigt. Erst seit der Erbauung der auf dem Gipfel thronenden Clubhütte und der gleichzeitigen Anlage zweier vollkommen sicherer Wege durch die Section „Alvier” des S.A.C. wurde der Berg beachtet und ist nun in wenigen Jahren schon ein vielbesuchtes Wallfahrtsziel der Bergfreunde geworden.

Die Distanzen von den benachbarten Eisenbahnstationen aus sind folgende:

1. Von Mels aus: Mels – Kurhaus Palfries 2 ½ Stunden (retour 1 ½ Stunden, Vormittags), Palfries-Gipfel 1 ¾ – 2 Stunden (Führer Hobi in Mels gut).

2. Von Trübbach aus: Nach Palfries (Kurhaus) 3 Stunden (Nachmittags), Palfries – Alviergipfel 1 ¾ – 2 Stunden (Führer Hanselmann in Oberschaan).

3. Von Sevelen aus: Direct in 4 – 4 ½ Stunden (kürzester, leichtester, sicherster Weg), retour 2 ½ Std. (Führer Tischhauser in Sevelen ausgezeichnet).

4. Von Buchs aus: 5 Stunden, retour 3 Stunden (Führer Stricker in Buchs).

Es lässt sich somit die Tour von Ragaz aus in einem Tage (via Sevelen) ohne grosse Anstrengung, via Trübbach oder Mels in 1 ½ Tag ganz bequem machen. In letzterem Falle richtet man sich gewöhnlich so ein, dass man Nachmittags von Trübbach abmarschirt, um nach 3stündigem, sehr bequemem Marsche zum Uebernachten das primitive, originelle Kurhaus Palfries zu erreichen, von wo der Gipfel am Morgen leicht in 1 ¾ Stunden gewonnen werden kann. Der Mangel an Comfort wird in Palfries durch die ungezwungene Gemüthlichkeit reichlich ersetzt und bei einigermassen bescheidenen Ansprüchen lässt es sich hier oben ganz prächtig leben.

Vorerst geht es sanft aber stetig ansteigend circa drei Viertelstunden lang die prächtigen Alpweiden von Palfries hinan und schon auf diesem Wege beginnt sich die grossartige Umgebung nach und nach den Blicken zu entfalten.

Nun wird der Fuss des zwischen Gauschla und Alvier herausspringenden prächtigen typischen Schuttkegels, über welchen der Weg bequem in vielen Zickzack der Höhe des Kamins zuführt, erreicht. Es ist letzteres eine steile Felsspalte, in der eine künstlich angelegte steinerne Treppe sehr rasch und absolut gefahrlos zur Kammhöhe emporführt. Die ganze Scenerie hat etwas Hochgebirgsartiges. Am oberen Ende des Kamins eröffnet sich uns wie mit einem Zauberschlage ein wunderbar grossartiger Einblick in das tausend-gipflige Gewirr der Vorarlberger und Tyroler Alpen, eine Ueberraschung, die in keiner Weise hinter der des Kriesiloches am Pilatus zurücksteht. In circa einer halben Stunde vom Fusse des Schuttkegels an gerechnet wird diese Stelle erreicht und in weiteren zwanzig Minuten der noch folgende Weg, der höchst romantisch am Rande jäher Wildheuplanken zur Clubhütte auf dem Gipfel führt, gefahrlos und bequem zurückgelegt.

Sollte indessen jemand gar zu sehr dem Schwindel unterworfen sein, so lässt sich diese Strecke auch umgehen, indem man etwas gegen die Schmelzwasserseelein niedersteigt und an ihnen vorbei den Sevelenweg gewinnt, der auch dem Schwindligsten gestattet, sich seiner zu bedienen. Der Rückweg kann wieder über Palfries oder noch besser stets auf gutem Wege nach Sevelen oder Oberschaan (Trübbach) genommen werden. Von diesen Punkten aus führt dann die Eisenbahn direct nach Ragaz. Nicht genug ist es anzurathen, einmal auf einem Berggipfel einen ganzen Tag zuzubringen, und auch zu diesem Ende würde sich unser Alvier vorzüglich eignen. Versuchen wir es, einen solchen Tag in kurzen Zügen zu schildern.

Wir sind früh aufgebrochen und haben den Gipfel vor Sonnenaufgang erreicht. Geisterhaft, frostig starren uns die Bergesriesen im Halbdunkel entgegen. Nach und nach beginnt es zu dämmern. Schärfer und klarer zeichnen sich die scharfzackigen Gräte von dem stetig sich hellenden Himmel ab. Schon erkennen wir die näheren Formen. Immer kräftiger, mächtiger bricht der Tag herein, immer mehr weicht die graue, die frostige Nacht — da blitzt es jählings fern südwärts in goldigem Lichte auf: es sind die Engadiner Riesen, die prächtigen Gipfel der Berninagruppe, die der Sonne den ersten Gruss entbieten. Auch im Westen beginnt es zu glühen: die fernen Berneroberländer. Nun folgt der Tödi mit seinen Vasallen, dann die Graubündner, der Glärnisch und endlich schiebt sie sich selbst über den scharfgezackten Horizont empor, die herrliche, goldrothe Sonnenkugel, ringsum ein Meer von Licht ergiessend. Noch herrscht tiefes, blauduftiges Dunkel im Thal, noch regt sich kein Wesen, kein Laut, und stumm bewundernd geniessen wir das herrliche Schauspiel.

Doch immer tiefer hinunter steigt der erwachende Tag, laut und lauter wird’s im Thal. Vieltausendstimmig dringt das geschäftige Treiben der emsigen Welt zu uns schon empor, bis endlich der Tag die volle Herrschaft gewinnt.

Da fesselt ein herrliches Bild unsern Blick: das goldbraunduftige Rheinthal, vom silberblitzenden Rheine in vielfach gewundenem Bande durchzogen. Links ist es begrenzt von der herrlichen Sentisgruppe, rechts von den in unvergleichlich schwungvollen Formen aufragenden Dreischwestern, im Hintergrunde abgeschlossen vom silberglänzenden Bodensee. Deutlich erkennen wir das fernschimmernde Lindau und nur ungern trennen wir uns von dem grossartigen und doch wieder so lieblich harmonischen Bilde.

Doch sieh! da unten in jäher Tiefe, fast 2000 m unter uns, tiefer als der Meeresspiegel unter Rigikulm, grüsst der tiefblaue Wallensee! Beidseitig springen bewachsene dorfbelastete Schuttkegel in die blauleuchtende Fluth hinaus. Rechts streben in jähen Hängen die Churfirsten gewaltig empor, links die wilde Mürtschengruppe und im Hintergrunde die malerischen, zierlichen Wäggithaler. Auch diese Partie zählt unstreitig zu jenen, die nur wenige ihresgleichen finden.

Mittag ist vorüber. Tiefer und tiefer sinkt die Sonne dem Westen zu. Schon wirft unser Berg lange tiefblaue Schatten in’s freundliche Rheinthal. Wunderbar schöne Lichtcontraste erzeugt die nahe, umgletscherte Ringelspitzgruppe. Aber auch das ferne Graubünden beginnt sich mehr und mehr zu röthen. Die erst noch gelbweiss schimmernden Lichter durchlaufen die herrlichste Farbenscala vom hellsten Gelb bis zum glühendsten Roth. Die höchste Lichtwirkung ist erreicht — ein bezauberndes, erschütterndes Bild. Da erblassen allmälig die tieferen Gipfel. Geisterhaft streben ihre fahlen Häupter zu den sonnenbeschienenen glühenden Riesen empor. Mehr und mehr erblassen auch diese. Nur fern im Süden da steigert sich das glühende Roth noch zu ungeahnter Kraft: es ist die ferne Bernina und mit ihr der Monte della Disgrazia, die der scheidenden Sonne den letzten Gruss entsenden. Auch sie erblassen. Unbeweglich blicken wir sinnend in die herrliche Welt hinaus, bis uns die wachsenden Schatten an Rückkehr erinnern. Der Tornister wird geschultert, der Alpstock erfasst, ein heller, weittönender Jodelruf als Abschied noch, dann geht es zu Thale. Wer jemals solchen Gang gethan, er wird ihn nie vergessen!

Mit Macht rückt der Frühling wieder in’s Land. Höher und höher spannt die Sonne ihren Tagesbogen, immer wärmer, wirksamer entsendet sie ihre Strahlen, dass der Schnee von den Bergen schmilzt und tausend geschwätzige Quellen, von Winters Bann erlöst, in munterem Geplauder zu Thale rauschen. Fliegende, schimmernde Schneebänder huschen in übermüthiger Lust rauschend die Felswand hernieder und schwere, dumpfe Grundlawinen ziehen wuchtigen Sturzes ihre verheerende Bahn. Neugierig durchbrechen der Blumen erste Frühlingsboten das rasch zerfliessende Schneegewand, in emsiger Eile buntfarbige, weitleuchtende Muster in’s braunrothe Grün des Grasteppichs wirkend. Lautjubelnd dem sengenden, staubigen Süden entfliehend ziehen die nimmer müden gefiederten Sänger wieder ein und entbieten vollen Herzens dem ewig jungen Frühling den schmetternden Jubelgruss.

In schimmernder Klarheit blicken die Berggewaltigen auf das emsig geschäftige Treiben der Tiefen hernieder; sie freuen und schmücken sich auf nahen Besuch. Wie lange hatten sie einsam den Winter verträumt! nur wenige treue Freunde hatten sie nicht ganz vergessen und ihnen die lange Winterszeit durch herzlichen Besuch gekürzt.

Doch jetzt, wo alles sich jubelnd erneut, wo alles keimt und spriesst und blüht, wie wird da dem Bergfreund so eigen um’s Herz, wie zieht es ihn fort mit Allgewalt, hinaus, hinauf in die lichtblaue Welt, in den schimmernden Duft der Berge! Wie liebreich begrüssen sie ihn, die alten Bekannten, und ziehen ihn empor mit urgewaltiger Kraft, um ihm neue, herrliche, unvergessliche Erinnerungen mit zu Thal zu geben!

Nun denn, so sei’s! Den Alpstock zur Hand, wir fahren zu Berge, zu Berge! Und gilt der Besuch dem herrlichen Wallensee und geht’s dann empor zu des Alviers felsigen Zinnen, so soll es mich doppelt freuen.

Das beigelegte Panorama, im Auftrage der Section Alvier ihrem Namenspatron zu Ehren gezeichnet, eine Erstlingsarbeit und daher in vielem noch sehr mangelhaft, wird uns leicht und sicher orientiren, und sollte ein genauer Beobachter hie und da etwas nicht ganz in Ordnung finden, so möge er versichert sein, dass es nicht an gutem Willen und an Fleiss, sondern blos an der nöthigen Uebung gebrach. Das nächste Mal soll’s besser werden. Und nun: «von Herzen glückliche Reise!»

(Quelle: S. A. C. Jahrbuch 1880. S. Simon, Topograph)

Alpenflora auf Gärtlisegg und Gärtliköpfe

Schon der blosse Name «Gamsberg» (2383 m) übt auf jene, die seine Geschichte kennen, – abgesehen von seiner, von der Südseite betrachtet, gigantischen Gestalt – einen so magischen Eindruck aus, dass seine Erzwingung bei einigen bergfreundlichen Kollegen und mir schon kuriositätshalber abgemachte Sache ist. «Führer» sind für die Südbesteigungen dieses Berges bis heute noch nicht «erkäuflich», und so heisst es denn, mangels Besserem sich auf eigene Füsse stellen.

Der ziemlich wetterunsichere Sonntag des 21. Juli war also zu einer vorläufigen Rekognoszierungstour um den Gamsberg ausersehen, und zwar hatte ich im Sinn, diesem Herrn – auf Umwegen allerdings – so nahe als möglich auf den Leib zu rücken.

Kollegen gesellten sich unverhofft morgens 6 Uhr auf dem, in Bezug auf Aussicht höchst dankbaren äusseren Trabanten der Faulfirstkette – dem Alvier (2338 m) – zu mir, und halb verwirrt, melancholisch noch von den mächtigen Eindrücken eines schönen Sonnenaufganges, gingen wir fröhlich über Schneefelder rutschend, westlich, dann nach Blumen haschend, über Krummenstein (2260 m) nach dem zwischen Krummenstein und Gärtlisegg gelegenen Sattel (2078 m).

Ein pikantes, leichtes Kamin führt, direkt vom Sattel aufsteigend, auf Gärtlisegg (2244 m), und verblüfft, geradezu wie angedonnert, ist derjenige, der, ohne es sich vorgesehen zu haben, jenem Kamin entschlüpft, auf die offenen Matten tritt, und sich vor Blumenreichtum kaum durch diese lieblichen Kreaturen durchzuwinden vermag.

Sie sind in Massen da! Und das ist eben das Verblüffende, dieser Reichtum und diese Vollkommenheit der Alpenflora. Noch nie habe ich eine komplettere Sammlung angetroffen, als dort oben an jenem Sonntag, und noch nie habe ich einen Berg besucht, der den Namen «Gärtli» in so hohem Masse verdient hätte, wie sein Namensträger. Von den frühesten bis zu den spätesten, gemeinsten bis zu den seltenern, sind sie alle da: die Alpenrosen, Edelweiss, Männertreu, verschiedene Enziane, Kleearten, Kugelblumen, Soldanellas, Glockenblumen, Steinbrech, Arnica, die bescheidenen Alpenveilchen und -Vergissmeinnicht, die jetzt selten mehr vorkommenden Anemonen, und gleich dabei wieder die schönsten Exemplare ihrer Früchte, die «Altmannen» etc. etc., einträchtig nebeneinander, ein Teppich von ungeahnter Pracht. Als Merkwürdigkeit mag hervorgehoben sein, dass hier die Edelweiss – jedenfalls des Ensemble’s wegen – ganz aus ihrer Gewohnheit herausgekommen sind, und vorzüglich auf der Nordseite vegetieren, währenddem die viel günstiger scheinenden, steilen Südhänge nur spärlich mit denselben bedacht sind.

Speziell Blumenfreunde also sind es, die ich hiemit darauf aufmerksam machen möchte, dass sie jetzt dort oben in Gärtlisegg und Gärtliköpfe, für verhältnismässig kleine Mühen, ein selten dankbares Erntefeld finden; es sei aber auch daran erinnert, dass sie alle, die Gesellschafter der Faulfirstkette, auch in Bezug auf Aussicht gar nicht zu verachten sind, und dass es auch für Kletterer an den schroffen Hängen derselben, die sich von Flums aus durch das Berschnerloch gesehen – gigantisch – wie senkrecht abfallende Wände einer mächtigen Festung mit Kuppeln ausnehmen, manch hartes Stück Arbeit zu kosten, und manches Problem zu lösen giebt.

Dieses kleine, aber trotzige Gebirge eignet sich für Eintagstouren von Flums oder Mels aus ganz famos. Im übrigen bieten die in 2 ½ – 3 Stunden erreichbaren, geräumigen Alphütten auf Sennis und Malun den gewohnten alpinen Komfort, und gute Gastfreundschaft.

Einmal bei den Gärtliköpfen angelangt, entzückt von der mich umgebenden Pracht, bin ich dann von meinem ursprünglichen Vorhaben abgekommen, und habe ihn nicht weiter behelligt – den Gamsberg. – Also auf ein andermal!

Aber selbst bei besserem Erfolg, ja wenn ich ihn unter mir gehabt hätte, so hätte ich kaum vergnügter sein können, als ich es war beim Abstieg, schwer beladen mit Edelweiss und einem ganzen Chaos von Blümchen und Pflanzen, und freudetrunken beim Gedanken an die morgen mit der ersten Post nach allen Richtungen hinreisenden Sträusschen.

«Alpine Grüsse» von den stolzen Zinnen der Faulfirstkette! (F. R., Piz Sol)

(Quelle: Alpina 1901)

Die Alvierkette aus Sicht des Talwanderers

… Scala, Scalberg / Schalberg / Scolberg / Scholberg / ob Sargans / ward zu alten Zeiten Scala, das ist / Läyter ((Leiter)) / Rhaetisch genant / weil der Weg daselbst hindurch nicht viel besser war / als wann man über eine Stiege oder Layter hette steigen müssen. Aus Scalberg ist mithin aus verbösserung und abgang der Raetischen Sprach / Schalberg / oder Scholberg gemachet / und darmit nicht nur die Gelegenheit des bösen Wegs / sonder das ganze umligende Gebirg bezeichnet worden: zu unserer Zeit hat es ein gute wolgebahnete Landstrass; dann die VII Ohrt der Eydgnossschaft / so über Sargans herrscheten / haben A. 1603 die harten Felsen unten am Fuss des Bergs mit grossem Unkosten aushauen / und einen guten breiten Wagen-Weg machen lassen. Dieser Berg spitzet sich aus gegen der Statt und Schloss Sargans / spaltet sich dannen hinterwerts gegen Mittnacht / und streket sich sehr weit aus in zween von einander zerthane Armen in form einer Furken: deren der rechte neben dem Rhein und Rheinthal wol hinablanget bis gegen den Boden-See / der linke erzeuht sich neben dem Sarganser-Land / Walchen-See / Gaster und Uznach / bis neben der Zürich-See.
… In der Graffschaft Sargans sind Berghöhlen bey dem Dorff Bertschis / bey St. Geörgen Capell.
(Quelle: Helvetiae stoicheiographia. Orographia et Oreographia. Oder Beschreibung der Elementen/Grenzen und Bergen des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands. Erster Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1716)

… Das Schloss Forstegg … Ich stieg am folgenden Morgen auf den noch stehenden Thurmstock, von welchem man das ganze Thal überschauen kann. In einer Entfernung von 2 Stunden nach Südwest glänzt hoch an Felsen das Schloss Werdenberg. Oberhalb demselben links südwärts nach Graubünden ziehen sich die hohen Gebirge der Schweiz und der deutschen Seite immer näher zusammen, bis sie sich zu vermischen scheinen, und rechts westnordwärts nach Toggenburg treten sie so weit zurück, dass die am Fuss der Berge fortlaufende Thallinie von Werdenberg bis Forstegg eine ovale Kesselform darstellet.
… Das Schloss Werdenberg, welches über dem Städtchen ins Weite schaut, liegt stets im Auge, weil der Weg gerade darauf zuführt. Die Gebirge hinter denselben sind waldigt, wild und rauh. Desto reizender breiten sich rechts der Grabser- und Gambserberg aus. Herrlich ist der Anblick ihrer breiten und hohen Gelände, welche ganz bebaut und mit Obstbäumen und einzelnen Wohnungen besetzt sind. … Diese beyden fruchtbaren Bergabhänge sind die einzigen heitern, sanften Züge in der rauhen Felsenphysiognomie dieses Thals, und deswegen ruht das Auge mit desto grösserm Wohlgefallen auf deren lachendem Grün. …
… Im Jahr 1795 zählte man in der Landschaft Werdenberg 1100 Haushaltungen, welche eine Volksmenge von 5 bis 6000 Menschen vermuthen lassen. Die Einwohner haben in ihrem Gebirge zwischen Toggenburg und Sargans gute Alpen und Wälder, … doch wird nicht mehr Butter und Käse in den Alpen gemacht, als die Werdenberger selbst brauchen. …
Von dem Städtchen Werdenberg führt die Landstrasse bei einem Teiche vorbei zwischen Gärten und Obstbäumen nach Buchs, und von hier im ebnen Thale weiter durch Sevelen in die Herrschaft Wartau. Die Gebirge rücken dem Rhein immer näher, und das Thal wird schmäler; hinter Sevelen geht es zwischen lebendige Matten aufwärts, und bald findet man sich in einer lieblichen mahlerischen Berggegend. …
… Das Thal ist hier sehr schmal, und die Gebirgsketten auf beiden Seiten des Rheins drängen sich bis an seine Ufer. Links zwischen Felsmassen verborgen liegt der enge Pass Luciensteig, welcher von der deutschen Seite den Eingang in Rhätiens Thäler beschützt, rechts fällt senkrecht in den Fluss die hohe Wand, an welcher sich der mit Mühe gesprengte Weg fortwindet. Hier hebt auf einmal erhabner Styl der Gebirgs-Natur an; grosse Züge, starker Thon in Färbung, Kraft und Kühnheit in Massen und Formen überraschen den Wanderer, der aus dem Rheinthal herkommt. Auf Graubündens Grenze zieht sich ein fruchtbarer Felsenzweig, das Rhätikon-Gebirge, abstufend bis ans rechte Rheinufer, und auf der Grenze von Sargans gerade gegenüber steigt der Schollberg bis zur hohen Wand herab, dessen Fuss der Rhein bespült. Ohne weitere Untersuchung springt es in die Augen, dass diese Felsen einst in ununterbrochener Verbindung standen, und das Sarganser Gebiet nebst ganz Rhätien von dieser Seite schlossen.
(Quelle „Schilderung des Gebirgsvolkes“, 1802, Johann Gottfried Ebel)

… Eine Sennerey besteht in diesen Gegenden aus 20, 30, 40, 50 bis 60 Kühen, je nachdem sich die Bauren miteinander verstehen. In einigen Sennhütten stellen mehr als 20 Bauren zusammen; … und diese werden dann durch gemeinschaftlich gemiethete Sennen besorgt und zum Buttern und mager Käsekochen benutzt. – Zehn Tage nach der Alpfahrt wird das Määsen vorgenommen, d. h., es gehen alle Bauren auf einen Tag in die Alp um die Milch ihrer Kühe nach dem Pfund genau abwägen zu lassen. … Je nachdem die Kühe nun mehr oder minder Milch gegeben haben, je nachdem erhält jeder von seiner Kuh im Herbste mehr oder minder Butter und magere Süss- und Sauerkäse. Eben so werden auch die Hirtenlöhne und die Alpenkosten alle Jahre verhältnismässig vertheilt. … Gewöhnlich ist man 12 bis 15 Wochen mit dem Vieh auf den Alpen, …

Der Tag der Aufalpfahrt sind den hiesigen Aelplern oder (wie man sie her nennt) den Alpknechten, nicht so festlich, wie die der Vonalpfarth. Da in diesen Alpen die Milch immer am gleichen Tage gemolken und gemessen wird, auch am Ende die Milchprodukte nach dem gleichen Maasstabe vertheilt werden, so macht dies den Ehrgeiz der Sennen unter sich rege, und jeder wetteifert mit dem ander, um am meisten Butter und Käse zu erhalten. Von dem oder denjenigen Knechten, die ein ziemliches weniger austheilen können als andere, sagt man: sie haben den Hund, d. h. spottweise: ein Hund sey gekommen, und habe ihnen viel davon gefressen; die Kinder sammeln sich dann vor diesen Hütten und necken die Knechte, indem sie wie Hunde heulen und bellen; auch auf der Heimfarth mit dem Molken (Milchprodukten) welches an einem Tag miteinander weggeführt wird, bewillkommt man sie hin und wieder mit diesem Greuelgeschrey! Von denjenigen hingegen, die von der erhaltenen Milch am meisten Butter und Käse verfertigten, sagt man: sie haben zu höchst. Diese Sennen und Zusennen – welches meistens ledige Burschen sind, zeigen solches ihren Mädchen an, die grosse Blumensträusse von Majoran, Rosmarin u. dgl. sammeln, sie mit einer Menge seidener Bänder von verschiedenen Farben zusammenbinden, und mit Flittergold behängen, und selbige ihren Liebhabern zur Belohnung für ihre Treue und Geschicklichkeit in die Alpen schicken. Am Tage der Alpabfahrt wird nun der ersten Schellkuh aus einem solchen Sentum ein einfüssiger Melkstuhl auf den Kopf gebunden, und dieser wird ganz mit den erhaltenen seidenen Bändern, Kränzen und Sträussen eingefasst; auch den übrigen Schellkühen werden Kränze und Sträusse aufgebunden, und so zieht alles in die Dörfer, wo Junge und Alte sie jubelnd empfangen. …
Schweine. Schweine hält man sehr viele. Es giebt Gemeinden, in welchen man 2 bis 300 Stück findet. Des Sommers leben einige davon auf den Alpen; andere bey Hause in den Ställen; wieder andere in zusammengestossenen Heerden, frey auf der Allment laufend, unter der Leitung eines Hirten, den man Schweiner nennt. Auf den Alpen bekommen sie des Sommers neben der für sie offenen Alpweide täglich einmahl Schotten; wegen den vielen, die Alpen durchstreichenden Bettlern, bekommen sie zu wenig von dieser Nahrung, daher sie diese Alpen sehr mager verlassen. Auf jede Kuh rechnet man 4 Schweine…
(Quelle „Beschreibung der Schweizerischen Alpen- und Landwirthschaft“, 1804, Johann Rudolf Steinmüller)

Der Staatswald und das Bergwerk am Gonzen

Gunzen / Gunzenberg im Sarganserland / berühmt wegen seiner Stahelbergwerken / ist gähstotzig und waldicht.
(Quelle: Helvetiae stoicheiographia. Orographia et Oreographia. Oder Beschreibung der Elementen/Grenzen und Bergen des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands. Erster Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1716)

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Merkwürdig ist oberhalb Sargans ostwärts der Gonzenberg. Hier bricht in schwarzem Kalksteine gangweise ein dichter rothbrauner Eisenstein, aus dem ehedem das berühmte Flumsereisen* (* In Flums, einem Dorfe nahe bei Sargans, waren die Schmelzofen errichtet, und daher erhielt das Eisen diesen Namen) geschmolzen wurde. Es ist unbekannt, in welchem Jahrhundert diese Eisenminen eröffnet wurden. Die ältesten Nachrichten über dieses Bergwerk reichen nur bis 1467. Seit 1500 lief es aus einer Hand in die andere und ward 1654 das Eigenthum der Familie Good aus Mels, welche über ein Jahrhundert lang die Ausbeutung betreiben liess. … dass die Goodischen Erben es 1767 mit allem Zubehör um 4000 Gulden verkauften. Die neuen Besitzer Leonard Bernold aus Glarus und Heinrich Schulthess aus Zürich übernahmen die reichen Eisenminen mit allem Eifer, den gewöhnlich jede neue vielversprechende Unternehmung veranlasst. Allein Vertrauen auf eigene Klugheit und Thätigkeit reicht da nicht zu, wo durchaus bestimmte Kenntnisse mancherlei Art nothwendig sind; und ohne ihre Hülfe lassen sich Bergwerke weder gründen noch mit Erfolg betreiben. Nach vielen angewandten Kosten und einer Reihen von Jahren wurden diese Herren endlich inne, dass sie mehr Geld als Eisen schmelzten, und ihre so lange genährten Hoffnungen durch harte Erfahrungen vernichtet sahen. Dieser misslungene Versuch schreckte alle Nachfolger in der Schweiz ab. Im Jahr 1787 fand sich ein Deutscher aus Kaufbeuern, der es wagte von neuem das Werk zu beginnen; allein auch dieser verliess es nicht ohne Schaden. Seit dieser Zeit liegen die reichhaltigen Erzgruben unbenutzt, und schon ist der Eingang zu den Schächten halb verschüttet. Eine äussere Schwierigkeit, die alle Besitzer dieses Bergwerks erfuhren, lag allerdings in der Anschaffung des Brennholzes. Nicht etwa, dass ein Mangel daran war oder ist, keinesweges, denn die Landschaft Sargans ist reich an Waldungen; allein die Gemeinden widersetzten sich stets aufs hartnäckigste der Benutzung derselben für das Bergwerk, wodurch immerwährende, langwierige und geldfressende Prozesse erzeugt wurden. Man musste deswegen den grössten Theil des nöthigen Holzes aus Graubündten herbeischaffen, wodurch dieses Brennmaterial sehr vertheuert wurde.
Der Gonzenberg trägt in seinem Schooss die reichsten und vortrefflichsten Eisenminen der ganzen Schweiz, und bei gehöriger Leitung und Unterstützung würde hier das für die helvetische Nation nöthigste und wichtigste Bergwerk gegründet werden können; seit vier Jahrhunderten haben viele Privatpersonen ihre Kräfte und ihre Kapitalien auf die Ausbeutung dieser unterirdischen Schätze verwandt, aber nie vermochten sie es, das Werk auf eine dauerhafte Art durchzusetzen. Es ist merkwürdig, mitten in Europa ein durch bürgerliche Freiheit, Thätigkeit und Arbeitsamkeit seiner Bewohner so berühmtes Land zu sehen, wo die Staatsverwaltung einen der wichtigsten Zweige der Nationalindustrie nicht nur nicht der mindesten Aufmerksamkeit würdigt, sondern ihn gänzlich bis diesen Augenblick vernachlässigt hat. Welch ein unzuberechnender Gewinn wäre es für die Schweizer, inner den Grenzen ihres Landes so viel Eisen zu schmelzen und zu bearbeiten, als das Gemeinbedürfniss von diesem unentbehrlichen Metall verlangt; die Natur bietet Erz und Holz, den Stoff und das Material denselben zu bearbeiten in Menge, aber vergebens dar.
(Quelle: „Schilderung des Gebirgsvolkes“, 1802, Johann Gottfried Ebel)

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Ueber das Alter des ein Paar tausend Fuss hoch oben am Gonzen befindlichen Eisenbergwerkes besitzen wir keine genauern Daten, und wissen nur so viel, dass es ums Jahr 1200 schon bergmännisch betrieben wurde. Der Umstand, dass sich sowohl Stücke ungeschmolzenen Eisens, als Schlacken und Kohlenstätten in den alten Ansiedlungen auf Burg bei Vilters, Castels bei Mels und vielen Punkten im Thale, bei Grabungen zum Vorschein kommen, berechtigt zu der Annahme, dass schon lange vor der römischen Herrschaft die Eisenlager von den Bewohnern des Thales ausgebeutet und das Erz nach der einfachen Art vermittelst des sogenannten Rennfeuerverfahrens geschmolzen wurde.
(Quelle: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, Band 15 (1863-1866))

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Der Staatswald und das Bergwerk am Gonzen
Der Staatswald am Gonzenberg, der als äusserster Vorposten der Sentisgruppe neugierig seine spitze Bergnase in unser Clubgebiet von 1888 und 1889 hineinsteckt, ist gegenwärtig Eigenthum des Kantons St. Gallen. In früherer Zeit gehörte er zur Grafschaft Sargans, die 1396 von dem Grafen Johann von Sargans an Herzog Leopold von Oesterreich um die Summe von 13,000 Pfund Heller verpfändet wurde. 40 Jahre später, 1436, löste sie Graf Heinrich wieder ein, gerieth aber durch verschiedene Fehden bald wieder in Noth; als daher die Eidgenossen die österreichischen Güter Walenstadt, Nidberg und Freudenberg erobert hatten, verkaufte sein Sohn, Graf Georg, den sieben Orten am 2. Januar 1483 die ganze Grafschaft Sargans um 15,000 Gulden.
Darin war inbegriffen: die Landeshoheit und das Eigenthumsrecht in sämmtlichen jetzigen Gemeindewaldungen im Allgemeinen (die Gemeinden hatten blos das Nutzungsrecht) und insbesondere die gräflichen Domänen Sargans und Mels, mit der Schlosswaldung (die 1834 sammt dem Schloss verkauft wurde), dem Bauholz vor und hinter der Egg (dem jetzigen Staatswald Gonzen) und dem Schlossholz am Erzberg, dem jetzigen Fohlenwald (der 1823 mit dem Bergwerk an die Familie Neher überging).
Diese Domänen verwalteten zuerst die CoIlatoren der beiden Kaplaneien in Sargans, nämlich die Freiherren von Gutenberg und nachher die Tschudi von Gräplang. Als durch die Reformation 1524 verschiedene Unruhen entstanden, setzten die sieben Orte (die alten Orte ohne Bern) in Sargans einen Landvogt ein, der über die ganze Grafschaft regierte und richtete.
Alle zwei Jahre kam ein anderer, abwechselnd aus je einem der sieben, später (nach dem Aarauer Frieden) der acht alten Orte. Der erste war, 1524, Hieronymus Schorno von Schwyz, der vierte, 1530, der berühmte Geschichtsschreiber Egidi Tschudi von Gräplang, der letzte, 1798, Georg Hauser von Glarus.
Als nun 1798 die helvetische Republik gebildet wurde, trat diese als Landesobrigkeit in alle den acht alten Orten zugestandenen Rechte über das Sarganserland ein, übernahm also auch die Verwaltung über die verschiedenen zur Landvogtei gehörenden Güter. Solche Gutstheile, die sich nach der wogenden, an Regierungswechseln reichen Zeit von 1798 bis 1803 noch als eigentliche Staatsdomänen erwiesen, zog dann im letztern Jahre der neue Kanton St. Gallen an sich, als Rechtsnachfolger der helvetischen Republik.
Im Jahre 1807 wollte die Regierung die Gonzenwaldungen verkaufen und beauftragte daher den Hauptmann (und nachmaligen Forstinspector) Fehr von St. Gallen, dieselben zu bereisen und zu untersuchen, ob ein Verkauf thunlich wäre. Derselbe berichtete dann im October 1807, dass die Summe von 2000 (!) Gulden, welche der Wald nach dem Schatzungsprotokoll erreichen sollte, gegenwärtig nicht erhältlich sei, daher von einem Verkauf Umgang genommen werden müsse.
Erst 27 Jahre später gelangten die Sargansischen Domänen zum Verkauf, indem 1834 die Regierung auf Bericht und Antrag der Domänendirection beschloss, es seien sowohl das Schlossgut Sargans (und die Weingärten in Malans) wie der Gonzenwald, letzterer unter Vorbehalt der zum Schutz der Umgebung erforderlichen Nutzungsbedingungen, an eine Steigerung zu bringen. Am 9. September 1834 erfolgte die Gant und Herr Georg von Toggenburg in Feldkirch, ein in österreichischem Civildienst befindlicher Graubündner, machte ein Totalgebot von 12,100 Gulden, das acceptirt wurde. Der Gonzenwald war aber im Verkauf nicht eingeschlossen, sondern nur die sogenannte Schlosswaldung in der Nähe des Schlosses; der erstere fiel daher dem Staate wieder zu, wozu sich derselbe jetzt gratuliren kann. Wie gross damals der Voranschlag für den Gonzenwald war, ist nicht ersichtlich, aber so viel steht fest, dass das Capital auf Zins und Zinseszins nicht zu dem Betrag angewachsen wäre, den jetzt der Waldwerth repräsentirt.
Einige Jahre später, 1846, war die Ortsgemeinde Sargans Willens, den Wald käuflich an sich zu bringen, und richtete deshalb eine Anfrage an den Kleinen Rath, die jedoch von diesem aus forst- und volkswirtschaftlichen Gründen abschlägig beschieden wurde. Seither traten keine neuen Kaufs- noch Verkaufsgelüste auf und blieb der Gonzenwald bis zur Stunde Eigenthum des Staates St. Gallen. Anfänglich lag die Verwaltung in den Händen des Kantons-Forstinspectors; 1842 wurde sie von dem ersten Bezirksförster, v. Greyerz, übernommen.
Was Servitute und Rechte betrifft, so hatte zur Zeit der Landvögte jeder Bürger der Stadt Sargans das Recht, im Gonzenwald Holz zu schlagen, hievon das Ast- und Gipfelholz für sich zu nehmen, das Stammstück aber dem Landvogt auf das Schloss zu bringen. Dasselbe Recht hatten die „Ausburger“, die hiefür aber drei Tage Frohndienst leisten mussten.
Hauptmann Fehr berichtet in seinem schon erwähnten Gutachten 1807, dass Niemand ein Holzrecht besitze: „nur der Landjäger Bucher allein, der im Schloss Sargans wohnt, hat von Seiten einer hochlöblichen Regierung für seinen Gebrauch und für allfällige Gefangene Holz nach Nothdurft Erlaubniss zu nehmen“. Da aber die Nothdurft sehr missbraucht wurde, schlägt Fehr der Regierung vor, dem Herrn Bucher durch den Forstofficianten ein bestimmtes Holzquantum anweisen zu lassen. Weiter sagt Fehr: „Ebenso haftet kein Trattrecht auf dem Wald. Nach Aussage von Verwalter Grünenfelder kommen zuweilen Geissen angrenzender Nachbarn zugweise da durch, welches ich ausdrücklich zu verbieten anbefohlen habe, indem selbige keine Gerechtigkeit haben und kein der Waldcultur schädlicheres Vieh ist, als Geissen.“ Man sieht hieraus, dass die Geissen schon damals in Acht und Bann gekommen sind, ohne dass es viel genützt hat!

Verschiedene Rechte besass das Eisenbergwerk am Gonzen, über welche indessen die Urkundensammlung der Herren Neher, der jetzigen Eigenthümer, wenig Aufschluss gibt. Das Wichtigste hat Herr H. Neher, stud. jur., nach Durchsicht der Sammlung in einem Briefe an den Verfasser zusammengestellt, der im Wesentlichen folgendermassen lautet: „Die Urkunden reichen zurück bis auf das Jahr 1500. Bemerkenswerth ist, dass am Schlusse derselben beinahe immer die Obrigkeit von Seite der „Isenherren“ in Anbetracht des kostspieligen Betriebes auf’s Dringendste ersucht wird, die „Rechte des Holzens und Kohlens“ in Hoch-, Frohn-, Buch- und Bauwäldern zu „comprimiren“ und zu schützen, ein Wunsch, dem, wie es scheint, gewöhnlich auf kurze Zeit entsprochen wurde.
Was den Erzweg und die Erzablagen im Staatswald anlangt, so beruhen diese, soweit aus Urkunden zu entnehmen, auf einem uralten Gewohnheitsrecht, dessen Ausführung zu wiederholten Malen sanctionirt worden. Sämmtliche Urkunden ermangeln der Klarheit und Präcision des Ausdrucks und lassen, da sie eben zu allgemein gehalten sind, der Interpretation einen zu weiten Spielraum.

Typisch für den stets wiederholten Anspruch auf Schirmung der Holz- und Kohlenrechte, wie er schon in den Urkunden des 16. Jahrhunderts enthalten, ist ein sogenanntes „Memorial“ eines gewissen Herrn Good, Besitzer der Eisenwerke. Der Brief datirt vom Jahre 1716. Es wird hervorgehoben, dass „die Holzer der Herren Landvögte sowohl, als auch der Amtlüt im Erzbergwerk, ob Sargans gelegen, auf eine dem köstlichen Lehen des Stahlbergwerkes Flums höchst nachtheilige Manier Holz fällen und eigennützig daher fahren, dass selbige (Holzer) viel mehr und besser Holz als die Herren Landvögt und Amtlüt bekommen, dass sie nit nur ihre Häuser genugsam mit Holz versehen, sondern noch viel den Burgern zu Sargans und anderwärts hin verkaufen, dass sie, da sie keine fernere Aufsicht haben, junge Buchen niederhauen und hiemit ihren Lohn nach eigenem Belieben vergrössern können etc. Künftighin mögen die Herren Landvögte ihr hohes Interesse besser beobachten und nit allein die Besitzer des Stahlbergwerkes bei ihren obbedeuteten Befreiungsbriefen mit ordentlichem Ernst und Eifer mennteniren, schützen und schirmen, sondern ein obrigkeitliches Verbot gegen das Abholzen ergehen lassen.“

Auf vorstehendes Memorial, welches vermuthlich eingegeben worden, wird die nachfolgende Forstordnung herausgekommen sein:
Abscheids-Extrakt der gehaltenen Jahrrechnung in Frauenfeld, angefangen 11. Juli 1719.
Nr. 6. Nicht minder solle diesen unsern Herren Landvögten bestens obgelegen sein, auf das Holzen der genannten Schlosswaldung genaue Inspection zu halten, einen geschwornen Förster darzu bestellen und für sein und der Amtleuten Brauch beschiedentlich und der Ordnung nach, nit aber bald hier, bald dort darin hauen sollen, damit „sich solches Holz nit völlig ruinire, sondern möglichster Dinge remedire“.

Im Extrakt-Abscheid der gehaltenen Jahrrechnung zu Frauenfeld, angefangen auf Sonntag nach Petri und Paul, der heiligen Apostel Tag, den 11. Juli 1720, heisst es in Nr. 3: In Anschauung des zu der Schlosswaldung bestellten Försters könnte man einen haben ohne anderes Salarium, als wenn man ihm das Abholz von dem, so von den Amtleuten gefällt worden, liesse. Mögen wir zugeben, dass dem bestellten Holzförster der Schlosswaldung das Abholz dessen, so von den Amtleuten gefällt worden, fürderhin für sein Salarium zudiene, jedoch soll er ein ehrlicher Mann sein und beeidigt werden, auch sowohl unsern Amtleuten zu Bescheidenheit und Aufrichtigkeit und guten Treuen das Holz brauchen.“ „Diese Abschrift ist dem Hans Jakob Rupp, als bestellten und beeidigten Holzförster der Schlosswaldung, zu künftiger Nachricht und Verhalt zugestellt worden, damit er, wenn ihm „etwas Widriges dies Orts“ begegnen möchte, sich dessen bedienen könne. Sig. Heinrich Ludwig Segesser, Landvogt zu Sargans.“

Im Kaufbrief der Familie Neher in Schaffhausen, welcher vom Jahr 1823 datirt, werden in den dem Werk nicht zu Eigenthum erworbenen Waldungen sämmtliche Kohlrechte und Holzrechte aufgehoben. –

Die ältesten Urkunden, die von der Erzgewinnung im Gonzen zeugen, stammen schon aus dem 9. (?) Jahrhundert. Indessen weist der Fund römischer Schmelztiegel und uralter Schlacken, sowie von Eisenerz auf dem Burghügel in Vilters darauf hin, dass das Bergwerk am Gonzen möglicherweise schon zu Anfang unserer Zeitrechnung bestand.

Auf verschiedenen Punkten der Thalschaft wurden Schmieden errichtet und Schmelzöfen erbaut, so auch auf dem Vilterser Burghügel, auf dem Kastels (644 m) bei Mels und selbst auf Mädris, was dadurch erklärlich wird, dass die Römerstrasse nach Zürich in beträchtlicher Höhe an dem linksseitigen Bergabhang hinführte. Dass die Schmieden des Bergwerks am Gonzen an verschiedenen Orten sich befanden, mag eben daher kommen, dass der Holz- und Kohlenbedarf nicht leicht auf einem Punkte befriedigt werden konnte. Die Erzausbeutung fand also lange Zeit vor Erfindung des Pulvers statt. Die Gewinnung geschah dazumal mittelst des Zweispitzes oder durch „Feuersetzen“, indem in den Stollen Holzstösse angezündet wurden, infolge dessen der Kalkstein zerklüftete und leicht losgebrochen werden konnte.

Das Bergwerk gehörte in frühern Zeiten auch zur Grafschaft Sargans und wurde von den Grafen gegen einen Lehenzins von 4 Gulden verlehnt. In dieser Verlehnung war auch das Recht inbegriffen, in allen Frohnherrschafts- und Hochwaldungen der ganzen Grafschaft, also auch im Gonzenwald, Holz zu schlagen nach Bedarf, ja das Recht dehnte sich sogar im Falle der Noth „auf jeden dritten Baum in jedes Bauern Baumgarten aus“.

Von Stellen, wo der Transport möglich war, wurde das Holz, theilweise durch Flössen, herbeigeschleppt, an unzugänglichen Orten wurden Kohlplätze errichtet und die Kohlen auf Saumpferden zu den Schmelzhütten gebracht. Ausser dem Lehenherrn durfte Niemand im ganzen Lande nach Erz graben; dieses Recht stand allein diesem zu, wofür er Schirmgeld zahlen musste. Infolge dieses Schutzes und der ausgedehnten Rechte wurde das Bergwerk lebhaft betrieben.

Betreffend die Holznutzung sind verschiedene gerichtliche Urtheile vorhanden, nach denen Uebergriffe von Seiten der Gemeinden oder der „Isenherren“ bestraft und in die richtigen Schranken zurückgewiesen wurden. So wurde laut einem Appellationsspruch von 1549 den Isenherren das Recht der Beholzung in allen Waldungen bestätigt, es seien hingegen „die nährhaften Bäume“ zu schonen, wodurch das alte, strenge Recht auf Benutzung der Obstbäume im Nothfalle aufgehoben wurde, und in dem Bergwerks- Freiheitsbrief von 1623 heisst es: das Holz am Gonzen soll zum Bergwerk gehören, mit Ausnahme dessen, was der Landvogt zum eigenen Gebrauch nöthig habe, und die Hochwaldungen solle man wieder aufkommen lassen, das Schwämmen und Verbrennen der Aeste solle verboten sein.

In den Jahren 1544-1654 wechselte das Bergwerk 8 Mal seinen Besitzer, in welch’ letzterm Jahre es sammt dem Schmelzofen in Murg an Herrn Landammann und Pannerherr Good in Mels überging. Im Besitze dieser Familie, welche die Eisengewinnung bis 1734 sehr energisch und schwunghaft betrieb und die Eisenschmelze nach Flums verlegte (da auch in den Flumser Alpen Erz gegraben wurde), blieb das Werk mehr als ein Jahrhundert. Im Jahre 1767 wurde das Bergwerk im Gonzen an die Herren Bernold, alt-Landammann von Glarus, und Hans Schulthess in Zürich verkauft um die Summe von 40,000 Gulden. Unter diesen ging es allmälig in Zerfall. Sie wurden in unheilvolle Processe verwickelt, und da sie, unerfahren und ohne fachmännische Kenntnisse wie sie waren, allzu kostspielige Bauten errichteten und die Leitung des Bergwerkes fremden Leuten überliessen, kam die Erzeugung des Eisens bald höher zu stehen, als sich der Werth desselben belief. 1777 trennten sich die Beiden und das Bergwerk blieb bis 1823 in den Händen der Familie Bernold, die lange Zeit weder einen Käufer noch einen thatkräftigen Unternehmer für dasselbe finden konnte.

Erst 1823 erwarb es die Familie Neher in Schaffhausen, die sich energisch mit der Wiederherstellung des Werkes befasste und den Schmelzofen in Plons errichtete. Es wurde nun tüchtig gearbeitet bis 1868, in welcher Zeit wegen der niedrigen Eisenpreise ein Unterbruch stattfand. 1873 wurde infolge des Steigens der Eisenpreise der etwas in Verfall gerathene Hochofen wieder hergestellt und, allerdings nicht ohne Unterbrechung, bis 1878 benutzt.

Was das Beholzungsrecht des Bergwerks betrifft, so drückt sich Dr. Fels in seinem Gutachten an die Regierung im Jahr 1829 folgendermassen aus:
„Das Recht der Eisenherren in Flums, das vor 1798 gegen Staats- und Gemeindewaldungen vorhanden war, gründet sich entweder auf ein persönliches Lehenrecht zu Gunsten des jeweiligen Besitzers der Eisenbergwerke, oder es war ein dingliches Servitut, auf Staats- und Gemeindewaldungen lastend, im erstern Falle Sache des öffentlichen, im letztern Sache des Privatrechtes; im letztern Fall auch jetzt noch unter dem Schutze des Civilrechtes vorhanden, im erstern hingegen durch die Gesetze der helvetischen Republik für immer als Foedalsache abgeschafft. Dem Referenten kommt es aber wahrscheinlicher vor, es habe unter der ersten, als unter der zweiten Form bestanden und finde sie somit für immer aufgehoben.“

Daraufhin scheinen, wie wir schon oben gesehen, die letzten gemeinderäthlichen Ratifikationen in dem Kauf um das Eisenwerk zu deuten. Es lastet somit auf dem Gonzenwald kein Beholzungsrecht mehr.

Sehen wir nun den Betrieb des Bergwerkes selbst an.

Das Erzlager des Gonzen liegt zwischen bläulich-schwarzem Kalk des oberen braunen Jura (Dogger) und wurde in vier verschiedenen Gruben abgebaut, von denen jedoch nur die beiden östlich vom Gonzengipfel gelegenen in den letzten Jahrzehnten ausgebeutet wurden. … Das Erz besteht vorherrschend aus Rotheisenstein oder Eisenoxyd von 50-60 % Gehalt, dann aus Halbrotheisenstein von 30-50 % Gehalt, in tafelförmigen, auch unregelmässigen Stücken; auch erdiges Rotheisenerz oder Rotheisenocker kommt vor, sowie Magneteisenstein in dichten Massen. Neben den Eisenerzen zeigen sich Manganerze: Hausmannit oder Schwarzmanganerz, Manganspath und Wiserit. Ausserdem finden sich Schwefelkies oder Pyrit, und zwar in Krystallform und in derben Massen, seltener Schwerspath und Flussspath. Die älteste und wichtigste Grube war die oberste, die sehr steil nach unten führt und in welcher das Erz über Treppen aufwärts getragen werden musste. Erst später, als man tiefer hinunter kam und der Transport durch Tragen zu beschwerlich wurde, öffnete man unten einen horizontalen Stollen, durch welchen der Erztransport leichter vor sich ging. Das Erz wurde zuletzt nur noch aus dem horizontalen Stollen genommen.

Der Eingang in’s Bergwerk oder das Mundloch des Stollens, das gegenwärtig eingefallen, befand sich 1250 m über dem Meer beim Knappenhause (1214 m) unter der hohen Felswand des Gonzen. Der Stollen ist ganz eben und geht an 250 m in ziemlich gerader Richtung vorwärts, dann theilt er sich in zwei Arme. Wo die Stollen gar geräumig ausfielen, liessen die Knappen sogenannte Erzsäulen stehen. Der untere Stollen, wo zuletzt gearbeitet wurde, hat die Ausdehnung einer grössern Wohnstube und die Höhe mag circa 2 m betragen. Das Erz, das sich beim Sprengen sehr schön von den Kalksteinen ablöst, wurde vor dem Eingang gesäubert, namentlich um den Schwefelkies zu entfernen. Damit dies recht sorgfältig geschehe, wurde das Gewicht der nach dem Waschen allfällig noch vorhandenen schwefelkieshaltigen Stücke vom Gewicht des transportirten Erzes abgezogen und der Transport dafür nicht bezahlt.

Eine Hauptschwierigkeit, welche die Ausbeutung wesentlich vertheuerte, war eben der Transport des Erzes: In der Grube, durch den Stollen, erfolgte er mittelst niedriger Karren, die man Hasen oder Hunde nannte. Vor den Stollen wurde das Erz sortirt, dann auf Schlitten circa eine Stunde weit abwärts gefahren. Eine Ladung betrug 25 Centner; für den Centner wurde 18 Rappen bezahlt. Dann wurde es auf zweirädrigen Karren mit Eselbespannung (bis 40 Centner beladen) 3/4 Stunden abwärts geführt, à 8—10 Rappen Fuhrlohn per Centner. Die letzte Strecke, ¼ Stunde, wurde querfeldüber, zur Schmelze, mit Pferdegespann bei circa 50 Centner Fuhrlast zurückgelegt.

In Plons wanderte das Erz in die Wasche, in den Röstofen, in die Poche, auf den Möllerboden, wo es vor dem Schmelzen den nöthigen Zuschlag erhielt, und sodann in den Hochofen, in welchen es schichtweise eingelassen wurde. Jede Schicht oder Satz enthielt 4 – 5 Centner und zwischen diese Sätze brachte man entweder 250 Pfund Holzkohle oder 225 Pfund Kohle und 25 Pfund Coaks. Als Zuschlag oder „Fluss“ kam ein kalkiger Thon zur Verwendung, der bei Flums gegraben wurde. Zur Erzielung einer richtigen Mischung wurden alle Erzsorten (mit Ausnahme des Schwefelkieses) gemengt. Die gewöhnliche Erzmischung der letzten Betriebsjahre bestand aus 32 % Rotheisenstein (geröstet), 40 % Halbrotheisenstein (geröstet), 15 % Halbrotheisenstein (ungeröstet), 3 % Manganerz (geröstet) und 10 % Zuschlag. Auf 100 Pfund Erz wurden je nach der Mischung 53-57 Pfund weisses Roheisen oder (manganhaltiges) Spiegeleisen gewonnen. Der durchschnittliche Verbrauch von Holzkohlen auf 100 Pfund Roheisen war ebenfalls 100 Pfund. Der Ofen hielt 14 Sätze und bis zur gänzlichen Ausbrennung dauerte es in der Regel drei Jahre.

Die Schlacken wurden zur Ausfüllung und Fütterung der Seezkorrektionswuhre verwendet; die Masseln, die je ein Gewicht von 2-3 Centner und auch 5-6 Centner hatten, gingen nach Laufen in die grosse Eisenfabrik der Herren Neher.

Das Bergwerk beschäftigte in den letzten Jahrzehnten seines Betriebes 70-80 Mann. Die Knappen standen unter einzelnen Accordanten, die meist aus dem Sarganserlande waren. Sie arbeiteten wechselweise von Abends 6 Uhr bis Morgens 6 Uhr und um gekehrt. Jeden Abend beteten sie gemeinsam in ihrer Hütte um den Schutz des Allmächtigen. Am Gonzenwege im Buchenwalde steht auf einer kleinen Anhöhe eine alterthümliche Kapelle, genannt das Erzbild zu den 14 Nothhelfern, den alten Schutzheiligen der Bergleute, an der kein Knappe oder Schlitter vorbeiging, ohne sein stilles Gebet zu verrichten.

Alljährlich am 4. Dezember feierten die Knappen das Fest ihrer Patronin St. Barbara mit feierlichem Gottesdienst, und zwar das eine Jahr in der Pfarrkirche zu Mels, das andere in derjenigen zu Sargans. Nach Schluss der religiösen Feier begann die Unterhaltung mit einem Festessen, dem dann, wie ein Gerücht meldet, gewöhnlich laute Fröhlichkeit folgte.

Im Jahre 1824 wurde die Schmelzhütte in Plons gebaut, das Unternehmen 1825-1826 in Betrieb gesetzt und ohne Unterbrechung bis 1868 fortgeführt. Da erlag, wie wir schon oben angedeutet, das Gonzeneisen infolge der billigen Eisenbahntransporte der Concurrenz des englischen und schwedischen Eisens. Der Nettogewinn war den Besitzern im Vergleich zu Umsatz, Risico und Mühe zu gering. Als aber die Herren Neher für ihr Etablissement am Laufen bei Schaffhausen keinen Vorrath von eigenen Masseln mehr besassen und solche um hohen Preis kaufen mussten, reute sie die Einstellung des Werkes und beschlossen sie, die Minen am Gonzen den Knappen wieder zu öffnen und den Schmelzofen in Plons neuerdings einzurichten, jedoch nur versuchsweise. Im Plane lag im Falle des Gelingens auch die Erstellung eines Walzwerkes, einer Hammerschmiede und einer Eisengiesserei, da es an Wasserkraft nicht mangelte.

Im Jahre 1873 wurde der Schmelzofen wieder neu aufgebaut, musste aber schon nach dreivierteljährigem Gebrauch einer Reparatur unterworfen werden, da das Material nicht dauerhaft genug war, dem neuen Heizstoff, Coaks, zu widerstehen. Nach der Herstellung wurde die Arbeit wieder aufgenommen und fortgesetzt, bis 1878 der Ofen ganz abgeblasen wurde.

In den letzten Betriebsjahren producirte das Werk durchschnittlich 20,000 Centner weisses Roh- und Spiegeleisen per Jahr, zu deren Darstellung nach obiger Angabe 20,000 Centner Holzkohlen, mithin, da zur Erzeugung von 1 Centner Holzkohle durchschnittlich 5 Centner Holz nöthig sind, 100,000 Centner Holz erforderlich waren. Aus diesen Zahlen geht deutlich genug hervor, wie sehr es den alten „Isenherren“ daran gelegen sein musste, sich das alleinige Recht der Beholzung in den Gonzenwäldern zu sichern, und wie Recht andrerseits die Gemeinden hatten, wenn sie sich gegen die Uebergriffe des waldverzehrenden Eisenwerkes zu wahren suchten.

Möge dieses uralte Werk, ruft Pl. Plattner aus, bald wieder betriebsfähig werden und der Tag nicht mehr fern sein, wo von Neuem der bergmännische Ruf „Glück auf!“ durch Gänge und Klüfte schallt.

Wir schliessen uns diesem schönen Wunsche an, ohne uns indessen zu verhehlen, dass seine Erfüllung nur dann möglich sein wird, wenn es gelingt, den alten umständlichen und kostspieligen Transport des Erzes von den Gruben zum Hochofen durch einen rationelleren und billigeren zu ersetzen und an die Stelle der theuren Eisengewinnung mittelst des Holzkohlenprocesses ein lohnenderes Verfahren zu setzen, zu dem die fortschreitende Technik unserer Tage wohl einmal Mittel und Wege finden wird; denn die Erzlager des Gonzen sind noch lange nicht erschöpft und das Eisen, das sie lieferten, war von vorzüglicher Qualität.

Rechte und Lasten. Ein sehr altes Recht, das auf dem Gonzenwald lastet, ist das Wegrecht zu Gunsten des oben befindlichen Bergwerkes. Im Jahre 1859 kamen nun die damaligen Besitzer, Herren J. G. Neher & Söhne, bei der hohen Regierung ein um Bewilligung zum Bau eines bessern Weges, im Jahre 1873 um die Concession zum Bau eines Schienenweges vom Gonzen nach Vild, 1874 um eine solche zur Erstellung einer Drahtseilriese und einer horizontalen Rollbahn nach Vild (zwischen Sargans und Trübbach); beide Bahnen wurden indessen nicht ausgeführt. Alle diese Concessionen wurden von der Regierung unter Aufstellung von schützenden Bestimmungen ohne Weiteres ertheilt, was beweist, welche Beachtung auch die neuern „Obrigkeiten” dieser Eisenindustrie geschenkt haben. –

Die neuere Wirthschaftsführung im Gonzenwald datirt vom Jahre 1873, wo der damalige Bezirksförster und nachmalige Oberförster Wild eine neue Schlagführung begann und gleichzeitig darauf bedacht war, dem Gonzenwald ein rationelles Wegnetz zu geben. Das letztere wurde im Jahre 1874 und 1875 und auch noch später (namentlich in den obern Partien) projectirt und dann jeweilen sofort als Fussweg tracirt. Im Jahre 1879 wurde mit dem Bau der Schlittwege begonnen und zur Stunde sind dieselben fast sämmtlich erstellt. Sie haben eine Breite von 2,4 m und Steigungen von 10-22 % und der laufende Meter kostete von 80 Rappen bis 30 Franken, meist aber 1-2 Franken.

Mit der Erstellung der Wege im Staatswald selber war’s aber nicht gethan, es musste auch dafür gesorgt werden, dass das Holz auch ausserhalb des Waldes transportirt werden konnte. Es unterstützte daher die Forstverwaltung verschiedene Weganlagen, die von anderer Seite gemacht wurden, so den Matugerweg, die Proterstrasse, welche aber noch nicht fertig ist, und das Theilstück derselben im Proterholz, welches von der Gemeinde Sargans und durch ihren Wald erstellt wurde.
Dieses Wegnetz gestattet nun, den Transport des Holzes jederzeit vorzunehmen, hingegen wird aus verschiedenen Gründen darauf gesehen, dass der Holztransport im Winter vor sich gehen kann; derselbe geschieht im Winter immer durch Schlitten, im Sommer durch Schlitten und Schleifen. Die früher ziemlich zahlreichen Erdriese werden gegenwärtig nur noch local benutzt und verwachsen in den jungen Beständen bis zur Unkenntlichkeit.

Nachdem das Wegnetz in der Hauptsache erstellt und im Uebrigen durch Fusswege festgelegt war, wurde im Jahre 1881 eine Vermessung des Gonzenwaldes durch Geometer U. Wild in Thusis vorgenommen, welche ergab, dass die Gesammtfläche 81,87 Hektar betrage, wovon 64,47 Hektar productiv und bewaldet, 1,35 Hektar dermalen unbewaldbar und 16,05 Hektar productionslos (Felswand, Geröll etc.) sind.

Die Taxation der Vorräthe und Zuwachsfactoren wurde noch im selben Jahre vorgenommen, und im März 1882 wurde der Bewirthschaftungsplan über den Gonzenwald aufgestellt, welcher den Betrieb für die nächsten 10 Jahre regeln sollte. Wir entnehmen demselben Folgendes:
Der Gonzenwald befindet sich am Südabhang des Gonzenberges, der, bloss durch das Hochplateau von Palfries mit der Alvierkette verbunden, steil über dem Rhein- und Seezthal sich erhebt. Infolge dieser Lage an der Kreuzung zweier Thäler sind die Niederschläge viel häufiger, als sie es sonst wären, und dadurch erklärt sich hauptsächlich die üppige Vegetation des Gonzenwaldes. Exponirt kann der Gonzenwald nicht genannt werden, da der Nordostwind durch den Schollberg und Nauskopf abgelenkt wird, während der Westwind, der sogenannte „Lösis”, mehr von hinten über die Gonzenwand kommt, sich oft mit grosser Kraft in das Thal stürzt und auf diese Weise hie und da nicht unbedeutenden Schaden anrichtet.
Die mittlere Meereshöhe des Waldes beträgt circa 1000 m (tiefster Punkt 740 m, höchster Punkt des Waldes 1253 m), der höchste Punkt des Eigenthums, die Gonzenspitze, ist 1833 m über Meer.
Absatzgebiete für das sehr beliebte Holz des Gonzenwaldes sind die umliegenden Gemeinden Sargans, Mels, Wangs, Vilters, Trübbach, Azmoos etc.
Das Klima darf als mild bis gemässigt bezeichnet werden.
Das Gonzengebirge gehört zum untern und obern Jura und besteht aus stark zerklüftetem, geschichtetem, blauschwarzem Alpenkalk, der hie und da von Kalkmergelschichten durchzogen ist. Die Schichten stehen gegen Südost geneigt. Die Zerklüftung ist eine stark verzweigte. Eine Kluft läuft in Millionen kleine Klüftchen und Risse aus, daher die vollständige Versickerung des Wassers. Die einzige Quelle findet sich an der westlichen Grenze des Staatswaldes in 1300 m Höhe und liefert das ganze Jahr, wenn auch wenig, Wasser.
In jenen Rissen arbeiten abwechselnd Hitze, Frost und Feuchtigkeit, lockern und sprengen das Gestein und sind so Ursache der vielen Stein- und Felsablösungen, wie solche besonders in den Jahren 1792 und 1806 erfolgten und ein schönes Stück Wald zu Boden warfen. Wer weiss, wann und wie sie sich wiederholen! manche lose Felskegel neigen jetzt schon gefahrdrohend gegen das Thal hin. Das Tröstliche dabei ist, dass sie gewöhnlich im Stürzen zerschellen und liegen bleiben, bevor sie das Thal erreichen. Wo etwas mehr Mergelschichten waren, bildete sich ein sehr fruchtbarer, tiefgründiger, etwas bindiger und trockener, thoniger Kalkboden.
Dem Boden ist durchwegs ziemlich viel Humus beigemengt, da überall eine schöne Laubdecke sich vorfindet. Früher (1840—1874) war dies nicht der Fall, sondern es wurde dem Wald das Laub auf eine schändliche Art entzogen. Gegen einen Schein zur Taxe von einem Franken konnte man ganze grosse Wagen voll Laub sammeln, und die Gelegenheit wurde reichlich benutzt, so dass von einer Bodendecke keine Rede mehr war und die Regengüsse Rüfen nach Belieben graben konnten. Im Jahr 1874, als die neue Hiebsführung eingerichtet wurde, musste naturgemäss die Lauberei eingestellt werden, und jetzt wird nur noch das Laub auf den Wegen, wo der Föhn es massenhaft häuft, zu billigem Preis sackweise verkauft.
Die Folgen der Einstellung der Lauberei sind augenscheinlich günstige und äussern sich einestheils in vermehrtem Holzzuwachs, andrerseits in Verhinderung der Bodenabschwemmung, indem der Humus und die reichlich darauf vorhandene Verjüngung das Wasser festhalten, währenddem dasselbe früher über den festen Boden ungehindert abfliessen konnte und in Vild z. B. bei jedem Gewitter Ueberschwemmungen herbeiführte, was jetzt gar nicht mehr vorkommt. Auch auf den neuerstellten Schlittwegen zeigt sich nie irgendwelches Abschwemmen, obschon sie ja theilweise ziemlich steil sind.

Bis zum Jahr 1874 wurde stets überall gepläntert und zwar planlos, bald hier, bald dort. In diesem Jahre wurden dann in den untern Partien, sowie am Erzweg, regelrechte Besamungsschläge eingelegt, welchen nach 4 Jahren circa der Lichtschlag und nach weiteren 4 Jahren der Abtriebsschlag folgte.

Auf diese Weise wird jetzt überhaupt die Verjüngung in den untern Theilen durchgeführt, während in den obern Partien vorläufig plätzeweise Plänterung angeordnet ist.

Damit schliesse ich diese Mittheilungen über das Bergwerk und den Staatswald am Gonzen. So unvollständig sie sind, so geht doch aus denselben unzweifelhaft hervor, in welch’ engem Zusammenhang beide von jeher miteinander gestanden sind. Wenn es mir damit gelungen ist, im S. A. C. einiges Interesse für diese äusserste Ecke unseres Clubgebietes zu erwecken, so ist ihr Zweck erfüllt; weit sicherer aber und besser wird derselbe erreicht werden, wenn ich die Clubgenossen bald einmal persönlich hinaufführen kann in die heiligen Hallen des majestätischen Buchenwaldes am Gonzen, wo schon so Manchem das Herz aufgegangen ist nach den Worten des Dichters:
Glückauf, mein Marsch hat den Hochwald erreicht,
O Lust, ihn zu beschreiten!
Sein Ruch und Duft erfüllt die Brust,
Hoch athmend will sie sich weiten. (Scheffel: Waldeinsamkeit)
Von Bezirksförster Bächtold (Section Alvier).
(Quelle: SAC Jahrbuch Band 25 1889)

***

Gonzen. Das Eisenbergwerk, in welchem Fäustel und Bohrer nun schon seit mehreren Jahren ruhten, soll wieder in Betrieb gesetzt werden. Die enormen Aufschläge im Eisen haben dies bewirkt. Wie man vernimmt, soll das Werk bedeutend ins Grossartige gehen. Eigene Schienengeleise, Hüttenwerke zur fertigen Herstellung des Schmiedeisens etc. stehen in Aussicht. – Wir hoffen, die Sache bewahrheite sich; denn einestheils ist dies Bergwerk eines der ältesten, ehrwürdigsten und interessantesten Europas, anderseits möchten wir den Anblick von ein paar hundert rothbestäubten Cyclopen und Erzschlittern jedem Touristen des vielbesuchten Berges gerne gönnen und drittens den Sarganserländern den allerdings sauer genug erworbenen Verdienst wieder herbeiwünschen.
(Quelle Die Alpenpost 1872)

Sagen rund um die Alvier-Kette

S Schlachtbödeli.
Vor vielen hundert Jahren kamen die Toggenburger auf die Grabser Alpen und raubten das Vieh, nachdem sie die Sennen und Hirten kopfüber in die siedende Milch geworfen hatten. Nur einem Hirten war es geglückt, diesem furchtbaren Tode zu entrinnen. Er kletterte auf eine Tanne und blies durch den Bürchel (Sprachrohr aus Rinde): «s Heara Chue heisst Blässi, un d’Toggeburger ‘nenn is s Veh un s Chessi!»
Er blies so stark und so lange, dass er tot niedersank. Katharina, des Pfarrers Köchin, hörte und erkannte die Stimme ihres Geliebten, sprang in die Kirche und meldete den Betenden, was sie vernommen.
Die Männer eilten mit Hellebarden und andern Kriegswaffen hinauf und nahmen den Toggenburgern nach blutigem Streiten das geraubte Vieh wieder ab. Die Stätte, wo dieser Kampf stattgefunden, heisst Schlachtboden. Noch lange nachher fand man dort aller Waffen. (Heinrich Hilty)

Venediger.
Unsere Berge sind erzreich. Das wussten vor Zeiten die Venediger; diese kamen her und sammelten kostbare Steine in ihre Säcke. Sie sagten, man werfe hier mancher Kuh einen Stein nach, der mehr wert sei als die Kuh selbst. Die Venediger fanden aber auch flüssiges Gold; an gewissen Stellen unserer Felsen stellten sie ein Gefäss hin, in welches das Gold träufelte. Waren die fremden Männer reich genug, so kehrten sie nach Venedig zurück, wo sie in schönen Palästen wohnten. Die Fussböden der Häuser, ja sogar die Strassen der Stadt waren mit Talern belegt. (Nach N. Senn, Chronik)

Der Lindwurm.
Auf den Grabser Alpen hauste einmal ein schrecklicher Lindwurm. Er war so gross wie ein Baumstamm, von Farbe dunkelrot und seiner Natur nach ausserordentlich bösartig; denn er frass Menschen und Tiere. Ihn los zu werden, fütterten die Grabser einen Stier sieben Jahre lang mit Milch und befestigten dann eiserne Haken an dessen Hörner, um ihn recht wehrhaft zu machen. Ein Mädchen, das um eines Vergehens willen zum Tode verurteilt worden, sollte den Stier mit dem Drachen zusammenführen. Der Kampf begann sofort, und er war wahrlich kein Kinderspiel. Endlich unterlag der Lindwurm. Aber der Stier war in eine solche Wut geraten, dass er sich nach errungenem Sieg über eine Felswand hinunterstürzte, wobei er ebenfalls ums Leben kam. Das Mädchen aber konnte entrinnen. (Nach N. Senn, Chronik)

Die Pest.
Im Spätsommer wollte ein Senn aus der Alp Malbun hinunter ins Tal; dort fand er nicht mehr seine Freunde und Verwandten. Die meisten waren dahingestorben. Weinend kehrte er zurück auf die Alp und wollte seinen Gefährten erzählen, wie er Jammer und Elend gesehen. Aber das Übel ergriff auch ihn, und sein Körper ward von schwarzen Beulen so entstellt, dass die Alpknechte ihren Gefährten nicht mehr kannten und daher nicht mehr in die Hütte hineinlassen wollten. Erst als er weinend und klagend um die Hütte lief, erkannten sie ihn. Mitleidig nahmen sie ihn auf, bestrichen seinen Körper mit frischer Butter und banden heilsame Kräuter auf die kranken Stellen. Drauf fielen die schwarzen Eiterbeulen vom Körper ab, und der Kranke ward gesund.
Im Herbste, als man das Vieh ins Tal trieb, irrte dasselbe lange in den Rhein-Auen umher; die Pest hatte die meisten Leute hinweggerissen, und niemand holte es ab.
In der Widen, bei Buchs, hatte ein Bauer zwei Söhne; der eine war einfältig, hing aber mit Liebe und Treue an seinem Vater; der andere war geschickt und witzig. Der Vater liebte nur diesen, um den andern bekümmerte er sich wenig. Als nun der schwarze Tod so viele hinwegriss, schickte der Bauer seinen Liebling auf die Alp, damit er von der Krankheit nicht ergriffen werde. Was geschah? Der einfältige Sohn, der im Tale beim Vater war, blieb am Leben, der auf der Alp starb.
Vier Fremdlinge kehrten in Buchs in einem Hause ein, wo man für zwölf Arbeiter den Tisch gedeckt hatte. Sie setzten sich hin, assen alles auf und sprachen leise miteinander. Die Leute im Hause verstanden folgende Worte: «Ich gehe in die Judengasse; du gehst an den Sevelerberg; dann wollen wir fleissig niedermähen». Drauf wollten die Fremdlinge bezahlen, aber man nahm ihnen nichts ab. Freundlich dankten sie und zogen weiter. Alsobald begann der schwarze Tod; am Sevelerberg starb fast alles weg. (N. Senn, Chronik)

Zahnweh.
Ein armer Mann von Rans, welcher beim Geissbachtobel, am Buchserberg, dürres Holz suchte, fiel über einen Fels hinunter und brach sich ein Bein. Den ganzen Nachmittag und die folgende Nacht musste er liegen bleiben und rief von Zeit zu Zeit um Hilfe. Endlich erschien ein wildes Männchen, welches, nachdem es erfahren, was dem Ranser fehlte, sagte: «So, ist es nur das? Ich habe geglaubt, du habest Zahnschmerzen!» Und damit entfernte es sich wieder. (Heinrich Hilty)

Rentierflechte.
Ein armes, altes, schwankendes Männchen besuchte einst die Alp Malbun und bat die Sennen flehentlich um ein wenig Buttermilch, wurde aber ein Tagedieb, Faulenzer, Nichtsnutz etc. gescholten und fortgejagt. Es ging, wandte sich aber nochmals um und rief über die Alp hin: «Verflucht sei der Cyprio; Er soll immer und ewig düar do stoh!» Alsbald verschwand das Männchen; die Pflanze aber hatte von Stunde an ihren Saftreichtum verloren. (Wartmann, Volksbotanik)

Der feurige Drache in der Alp Maltschül.
Unter der roten Platte in der Alp Maltschül hält sich ein feuriger Drache auf. Er erscheint aber nur vor einer Überschwemmung. In den Jahren 1762 und 1764 ritt ein feuriger Mann auf dem Drachen durchs Buchserbachtobel heraus, und es kam bald nachher ein Gewässer, welches Häuser und Scheunen wegriss, Felder und Wiesen verwüstete. (Heinrich Hilty)

Auf der Alp von Buchs spie ein Drache Feuer und Rauch und lockte das Vieh auf eine Felsplatte, von welcher es herabglitt und seine Beute wurde. Zeigte er sich, so brach der Bach los. Jetzt, heisst es, sei er tot und liege unter der Platte. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Reiter in der Alp Farnboden.
Ein Altendorfer sah zur Nachtzeit in der Alp Farnboden (Sevelen) einen Mann auf einem Schimmel durch Stafanell hinaufreiten. Er glaubte, in dieser geisterhaften Gestalt einen Mann zu erkennen, der vor etlichen Jahren gestorben war. Auch andere wollten dieses Gespenst schon wahrgenommen haben. (Heinrich Hilty)

Verbannt.
Die Kapuziner können Geister, die an bewohnten Orten lästig werden, an eine einsame Stelle hinausbannen; zwei dieser Kuttenmänner nehmen ihn einfach in ihre Mitte und spazieren mit ihm eines schönen Morgens nach dem vereinbarten neuen Aufenthaltsort. Wer ihnen zufällig begegnet, hat sich nicht im mindesten zu fürchten; er sieht nur beiseite und schweigt fein still.
Ein solcher Geist sitzt im Geissbachtobel. Geht jemand auf die Alpen, und nimmt er zufällig im «Geissbachställeli» Nachtquartier, so kommt der garstige Kerl mitten in der Nacht und bläst dem Schläfer ins Gesicht, dass es bis am Morgen hoch aufschwillt und der Kopf so gross wird wie ein Melkeimer. (Nach N. Senn, Chronik)

Aus der Pestzeit.
Zur Pestzeit, da der Todesengel bei uns sehr viele Opfer forderte, kam in einer Nacht ein Gut am Sevelerberg durch Vererbung siebenmal in andern Besitz. Da der letzte Eigentümer am folgenden Tage auch das Zeitliche segnete und keine Erben mehr vorhanden waren, wurde das Gut herrenlos. Es wird jetzt noch verlorener Berg genannt. Nach dem Seveler Urbar trug es allerdings schon 1489 diesen Namen.

Das ganze ob Sevelen liegende Dörfchen St. Ulrich mit dem umliegenden Boden verblieb einem einzigen Manne. Dieser konnte sich seines Besitztums nicht lange erfreuen; denn nach kurzer Zeit hatte er all sein Gut verprasst. (Heinrich Hilty)

Die Hüttentüre in der Alp Farnboden hatte eine schlechte “Bschlussig”. Zigeuner und anderes Gesindel streiften in den Bergen herum. Darum wurde jedes Jahr vor der Alpabfahrt das grosse Kupferkessi im Boden vergraben, und nur der Senn, der Zusenn und der Handbub wussten, den Ort, wo es bei der Alpfahrt wieder zu finden war.
Dieses geschah auch in der Pestzeit, wahrscheinlich 1628. Hernach rückte die Seuche mit allen ihren fürchterlichen Folgen ein. Als dann die Alpfahrt wieder stattfand, konnte keiner der drei Männer mehr sagen, wo das Kessi vergraben worden war, weil sie der Seuche zum Opfer gefallen waren. Es ist nie mehr gefunden worden. (Heinrich Hilty)

Der Riese.
Auf der Alp “Altsäss” kam den Sennen ein Melkstuhl, so oft man ihn auf den Untersäss mitnahm, wieder auf den Obersäss zurück. Da hiess einst der Senn den Buben den Stuhl vom Obersäss herabholen und versprach ihm seine schöne Glockengeiss, wenn’s ihm gelinge. Der Bube lief, schlich, wie er oben ankam, zur Hütte, schaute durch eine Spalte hinein und sah auf dem Stuhle einen riesigen Mann am Kessel sitzen und feuern. Furchtlos, wie der Bube war, rannte er in die Hütte, riss den Melkstuhl unter dem Grossen weg, welcher rücklings niederstürzte, und lief mit seiner Beute dem Untersässe zu.
Statt aber Wort zu halten, lachte ihn der Senn aus. Da kam in der Nacht der Riesige aufs Hüttendach und rief mit schrecklicher Stimme durch die Schindeln hinunter:
“Dem Buben gehört die Glockengeiss!
Wären aber nit gewesen
Die Hitz und der Witz
Und die Beiss – die Glockengeiss
Wär din geblieben!” (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Fahlmann in der Alp Altsäss.
Der Fahl im Altsäss ist ein mit Felsköpfen unterbrochener, sehr steiler Abhang, der bis in den Bach hinunterreicht, welcher die Alpen Altsäss und Maltschül voneinander scheidet. Darüber hin führt ein schmaler Fusssteig, das Fahlwegli, welches auf ungefähr zwanzig Schritte für Kühe und Pferde äußerst “fällig” ist. Unter und ob dem Fahl befinden sich schöne Kuhweiden.
So oft der Küher vom Altsäss mit seiner Herde auf diese Stelle kam, trennte sich das Kühlein einer armen Seveler Witwe von den andern Tieren, ging übers Fahlwegli hinüber, und der Küher hatte jedesmal seine liebe Not, es wieder zur Herde zu bringen. Stockschläge oder ein scharfer Biss ins Ohr waren erfolglos.
Auf herzlose Weise half er diesem Übelstande auf immer ab. Er schlug einen Grozen (Tanne), löste die Rinde weg und legte sie, die innere Seite aufwärts, aufs Fahlwegli. Als dann das Kühlein wieder den verbotenen Weg ging und auf die schlüpfrigen Rindenstücke trat, glitschte es aus, verlor seinen Halt und fiel von Felsband zu Felsband in den Bach hinunter. Die arme Witwe mit ihren kleinen Kindern hatte ihr einziges Kühlein verloren.
Aber die Strafe kam. Der Hirt starb und fand keine Ruhe. Wenn man zu gewissen Zeiten zum Fahlwegli kommt, hört man in der Tiefe drunten ein Ächzen und Stöhnen, ein Jammern und Wimmern, dass einem ganz unheimlich wird. Diese Töne kommen immer näher. Schliesslich sieht man einen Mann, der mit grösster Mühe eine Kuh heraufschleppt, diese, sobald er sie auf dem Fahlwegli hat, wieder hinunterstösst und dann nach wüstem, markdurchdringendem Gelächter verschwindet. (Heinrich Hilty)

Das Kuhrücken auf der Alp Altsäss.
“Du, Hans”, sagte eines Abends der Senn der Alp Altsäss zu seinem Handbuben, der Trappli het si kündt; dia Chüa henn gruggt, un dia Nacht schneit’s; morn fahran mir vu Alp; richt dia Schleipf her.” Und wirklich, es geschah, wie es der Senn vorausgesagt hatte. Während der Nacht war so viel Schnee gefallen, dass man von der Alp fahren musste und auf der “Schleipf” die Molken ins Tal gebracht werden konnten.
Das Kuhrücken kennt man bei uns auch auf andern Alpen. Da stürmt die ganze Herde in grosser Angst der Hütte zu. Dann gibt’s Schneewetter. Auf der Alp Altsäss jagt der “Trappli” den Tieren diesen grossen Schrecken ein. Dieser Geist zeigt sich aber den Menschen nie.
Ein junger Mann von Sevelen, der das Kuhrücken schon mehrmals beobachten konnte, aber von Geistern nichts mehr wissen will, behauptet, dass wie die Stubenfliegen schon einige Stunden vor Eintritt von Regenwetter in Ställen und Häusern Unterkunft suchen, so fliehe das Vieh auf den Alpen auch, bevor Schneefall und Unwetter sich einstelle, an geschütztere Orte. Die Tiere gewahren solches vor den Menschen. (Heinrich Hilty)

Der Geissbachzopfi.
Der Geissbachzopfi reitet zur Geisterstunde auf einem Schimmel beim Majenpfüsis über die Schreja hinunter. Ein Sevelenberger mit dem Übernamen Wäspi sah ihn einmal; am folgenden Morgen hatte er einen geschwollenen Kopf. (Heinrich Hilty)

Der Schrättlig.
Ein alter Seveler erzählte mir folgendes: Als ich noch jung war, lag ich eines Abends in meines Vaters Kuhstall am Majenberg auf der Pritsche, halb schlafend, halb wachend. Der obere Teil der Stalltüre war geöffnet. Da kam etwas herein, setzte sich auf meine Brust, so dass ich mich nicht mehr bewegen und kaum noch atmen konnte. Mich drückte der Schrättlig. Endlich war es mir möglich, auszurufen: “In drei Tüfels Nama, mach dass d’furtchunnst!” Ich sah eine schwarze Katze, welche zum Oberlid der Türe hinaussprang. (Heinrich Hilty)

Der Tanz auf Palfries.
Die Knechte auf der “Bäschneralp” hatten beschlossen, einmal einen lustigen Tag zu haben, und bestellten zu diesem Zwecke zwei Geiger und einige Mädchen aus dem Dorfe Bärschis auf die Alp. Mit diesen zogen sie nach der benachbarten Alp Palfries, wo im alten Rathausgebäude ein ordentlicher Platz zum Tanzen war.
Nachdem sich dann besagte Älplergesellschaft den ganzen Tag hindurch nach ihrer Art aufs tollste amüsiert hatte, wollten die Mädchen gegen abend wieder nach Hause zurückkehren. Allein die Knechte hielten sie zurück und tanzten mit ihnen bis zum kommenden Morgen, obwohl sich während der Nacht ein fürchterliches Donnerwetter mit Hagelschauer über die Alpen ergossen hatte und niemand zur Besorgung und Überwachung der Herde in der “Bäschneralp” geblieben war.
Der Leichtsinn kam die Knechte teuer zu stehen; denn während des Hagelwetters war fast die ganze Sente über die Felswände hinausgesprungen und zu Grunde gegangen, und die fahrlässigen Hirten mussten, so weit ihr Vermögen hinreichte, den Schaden vergüten. Nebst dem müssen sie seither auch nach dem Tode in den betreffenden Nächten und so oft Hagelwetter eintritt ihr sorgloses und mutwilliges Treiben auf Palfries fortsetzen.
Jäger Wildhaber von Sargans übernachtete im Spätherbst 1816 an der erwähnten Stelle und war eben damit beschäftigt, sich zu seinem Nachtessen einen “Tatsch” zu bereiten, der in einem Kesseli ob dem Feuer lustig brodelte, als ein Mann mit grünem Hute zur Türe hereintrat und ihm barsch befahl, sich schnell zu entfernen, weil eine Gesellschaft nachkomme und man ihn dann hier nicht brauchen könne. Wildhaber erwiderte: “Meinen Tatsch muss ich doch noch fertig backen”, und während er dies sagte, wendete er ihn im Kessel um, so dass die heisse Butter mit vielem Geräusch hochauf zischte.
Die angesagte Gesellschaft, bestehend aus 3 Paaren, war unterdessen schon in Begleit von 2 Geigern angerückt; Wildhaber hatte kaum noch Zeit, den “Tatsch” aus dem Kessel in seinen Filzhut zu schütten und damit zur Türe hinauszueilen, als die Musik begann und ein wilder Tanz eröffnet wurde. (J. Natsch. Manuskript, im Besitze des Hist. Vereins St. Gallen)

Das Bergmännli im Erzloch.
In der beinahe 600 Meter hohen Felswand des Gonzenhauptes befindet sich ein wahrscheinlich schon zur Römerzeit benutztes Eisenbergwerk, von den Sarganserländern “Erzloch” genannt. Es wurde bis um das Jahr 1870 immer noch betrieben. In den Gruben waltete das Bergmännlein, ein wohltätiger Berggeist, welcher jede Gefahr rechtzeitig verkündete. Wenn die Knappen in unergiebigem Gestein arbeiteten und die Öffnung neuer, besserer Erzgänge bevorstand, geschah es, während sie ahnungslos im Knappenhaus beim Essen sassen, dass vom Bergwerke her, über die Steine bis auf die hölzerne Stiege, laute Tritte erschallten, als ob dreissig und mehr Arbeiter mit schweren, eisenbeschlagenen Schuhen sich näherten. Die Knappen sprangen hinaus; aber nichts war zu sehen und zu hören.
Ungefähr im Jahr 1852 war der Knappe Martin Hobi von Hl. Kreuz mit seinem Bruder Christian in der “Lehmgrube” über einem schauerlich tiefen Schachte auf einem hölzernen Gerüste am Arbeiten. Da fing es an, kleine Steine nach ihnen zu werfen, anfangs ganz sachte, dann aber immer toller, so dass sie es endlich für ratsam hielten, ihren Posten zu verlassen. Kaum waren sie an einem sichern Orte angelangt, so stürzte das Gerüste zusammen und unter schrecklichem Gepolter in die grauenhafte Tiefe hinab. (J. Natsch)

Die Zwerge am Gonzen.
Auch der Gonzen hatte seine Zwerglein, was bei einem so erzreichen Alten eigentlich fast selbstverständlich ist. Oben beim Erzbild wohnten sie in den tiefen Löchern, aus denen der kühle Wind aufsteigt. Ihre Häuser waren von Eisen und Stahl, aber die Dächer von Gold und die Fenster von Silber. Im Sommer arbeiteten die Männchen fleissig; aber im Winter ruhten sie sich aus, sassen am grossen Herdfeuer und verschafften sich auch etwa ein Vergnügen. Sie liebten namentlich die Musik und zwar Geige und Pfeife; zu diesen tanzten sie. Oft hörte man ganz gut ihre lieblichen Weisen, als ob’s vom Himmel käme. Selbst die Murmeltiere, die am steilen Hang, ebenfalls tief in der Erde, ihren Winterschlaf halten wollten, wurden mitunter in ihrer Ruhe gestört. (Nach Dr. A. Henne)

Der Geldschatz vom Girenbüchel.
Im Jahr 1792 hatte Richter Anrig, der Vater des Kassier Anrig im Töbeli zu Sargans, einen Knecht, der auf seinem Gute Atschen, welches zunächst an der Hochwand am Schollberge liegt, das Vieh besorgen musste. Eines Tages nun kam er ganz hastig mit einer Tanse voll Milch nach Hause und verlangte, dass sie eiligst geleert werde; denn er müsse sogleich wieder zurück, um einen Geldschatz zu holen.
Anfänglich lachten die Hausgenossen darüber, wurden sodann aber mäuschenstille, als er erzählte, wie er, bei dem an der ältesten Schollbergstrasse liegenden Girenbüchel angelangt, eine entzückende Geigermusik gehört und neben dem unergründlich tiefen Loch hinter dem Büchel eine mit den glänzendsten Kostbarkeiten angefüllte, jedoch von einer daneben sitzenden Kröte verhütete Kiste gesehen habe.
Diese Erörterung war hinreichend, die Leute gläubig zu machen, und zwei herzhafte Männer entschlossen sich, den Knecht zu begleiten.
Versehen mit allen nötigen Gerätschaften, zog man aus und kam dann auch wohlbehalten an bezeichneter Stelle an, um leer wieder abziehen zu können, weil da weder Musik noch Schatz mehr anzutreffen war. (J. Natsch)

Die Zwerge in der Bärschner Alp.
Die Alpknechte von Bärschis hatten es einst bequem; die Zwerglein haben für sie gehütet, gemolken und gebuttert. Am Sonntag aber kam der „Fissler“ (der Gehilfe des Ziegenhirten) mit einem neuen Hut und „Tschöpli“ auf die Alp. Das Zwerglein fand Gefallen an diesen Dingen. Nach vierzehn Tagen legten ihm die Alpknechte ein ganzes „Häsli“ (Kleidchen) hin und meinten es damit zu erfreuen, dass es ihnen weiter so eifrig dienen werde. Dieses machte sich aber auf und davon und liess sich von jenem Tage an nie mehr blicken. (Nach Dr. A. Henne)

Einmal schien ein Zwerglein, das wie alle seines Namens höchst einfach gekleidet war, ein sehnliches Gelüsten nach einem eben so schönen und guten Gewande zu tragen, wie die Hirten von Bärschis sie besassen.
Der Hirte sorgte dafür, dass dem Männchen ein Brot und ein schönes, neues Wams verehrt wurde, was seine Stammesgenossen aber sehr übel gedeutet haben mussten; denn am Abend vor dem Betläuten brachte eine Kuh auf ihren Hörnern diese Geschenke zurück, und seit jener Zeit hat man von dem Zwergvölklein nichts mehr gesehen oder verspürt. (J. Natsch)

Die drolligen Zwergensagen kommen in mannigfaltigen Variationen vor. Das Originelle an der obstehenden ist, dass eine Kuh die Geschenke an den Hörnern zurückbrachte.

Das Goldloch am Gamsberg und der Venediger.
Am „gewaltigen Gamsberg“, wie der Geologe Mösch den schroffen Gipfel über der Tscherlacher Alp Sennis nennt, gelangt man auf der Südostseite von einem „ewigen“ Schneefleck, dem Rest eines nach seinen schönmodellierten Moränen ansehnlichen Gletschers, über ein breites, aber ungemein abschüssiges Felsenband zum Goldloch, einem grossen, mit Legföhren bekränzten Gufel (Felsüberhang), aus dem ein nasser, schlammiger, dunkler Gang aufwärts in den Berg hinein führt.
Vor vielen Jahren kam regelmässig alle Jahre ein Venediger auf die Alp und verlangte Nahrung und Obdach. Täglich sei der Venediger frühmorgens fortgegangen und habe in den Bergen nach Schätzen gesucht. Im Herbst belohnte der Venediger den Älpler reichlich und kehrte dann mit seinen Schätzen in die Heimat zurück. Nach mehreren Jahren wurde einer der Älpler von Neugier und Habsucht getrieben, dem Venediger heimlich nachzuschleichen; er kam gerade dazu, wie dieser ein Krüglein voll Gold aus dem Felsenloch hervorbrachte. Von da an kam der Venediger nie mehr. Aber der Älpler hat weder Gold noch andere Schätze gefunden. (J. B. Stoop)

Hat einer die gefährliche Platte passiert, so gelangt er in die Grotte, welche ca. 18 Meter lang und etwa 9 Meter breit ist. Am Ende der Grotte öffnet sich ein Gang, der so gross ist, dass ein Mann in gebückter Stellung vorwärtskommen kann. Die Steigung in einer Länge von etwa 18 Meter ist eine leichte; hat er diesen Gang passiert, so kommt er zu einer Tanne, die als Leiter dient und die erste Etage mit dem Anfange einer weiten Öffnung verbindet. Eine merkwürdige Erscheinung ist diese Tanne im geheimen, dunkeln Schacht. Es ist keine Rinde mehr an ihr; sie ist eingetrocknet wie eine Mumie, weiss von Farbe, die Äste kurz und vor Alter zugespitzt. Wie lange mag wohl dieses Skelett schon hier gestanden haben, und wer hat es und zu welchem Zwecke hiehergestellt?
Man kann ohne alle Mühe weitere 18 – 24 Meter in die Höhe steigen; dann aber geht die reine Luft aus, das Licht brennt nicht mehr; gern oder ungern muss der Besucher dieser Höhle den gefährlichen Rückweg antreten, ohne das wahre Goldloch, welches weiter oben sich befindet, gesehen, und ohne etwas von den geheimen Schätzen, die dort offen liegen sollen, erbeutet zu haben.
Auf der Alp Castelun war vor zirka 50 Jahren ein Hirt, der viele Sommer hindurch die Herden hütete. Weil der Mann hochblonde Haare trug, nannte man ihn den „roten Hirten“. Alle Jahre um den St. Magnustag besuchte ihn ein Männchen, in gemeine Kleider gehüllt und mehrere kleine Säcke bei sich tragend. Sein Aufenthalt dauerte höchstens zwei Tage; dann ging es schwer beladen von dannen.
Der rote Hirt bemerkte, dass der kleine Mann unter der schlechten Kleidung eine solche von feinem Tuch trug, und er sann lange nach, was wohl dieser Fremdling mit sich fortnehme.
Als der Hirt einst die Herde wieder zur Alp trieb, trug er ein entlehntes „Spektive“ (Fernrohr) bei sich in der Absicht, wenn der geheimnisvolle Fremdling wieder erscheine, zu erspähen, wohin er gehe. Der Kleine kam richtig wieder, und der Rote setzte sich auf einen Hügel und schaute durch sein Rohr. Jener schlug den Weg nach dem beschriebenen Loche ein und verschwand in der Grotte. Bald kam er schwer beladen in der Hütte an und nahm dankend Abschied; da zog es den Hirten mit unwiderstehlicher Gewalt, den Ort auch aufzusuchen. Vorerst besprengte er sich mit Weihwasser und betete um Schutz zum Himmel.
Er fand das Goldloch, durchschritt mutig die dunkeln Gänge, in der Hand eine dreifach gewundene brennende und geweihte Kerze haltend. Weit, weit im tiefen Berg drinnen fand er eine geräumige Höhle, aus der kein weiterer Gang sich öffnete. Hier fand der rote Hirt nichts Besonderes, nur gelbschimmernde, schwere Steine, mit denen er seine Säcke in Hosen und Rock füllte. In seiner Hütte verbarg er die Steine in einem Salzsäcklein im „Fickler“ unter die Streue. An der Herbstalpfahrt nahm er die Steine in sein Bündel und zog mit der Herde zu Tal. Nachher ging er mit dem Funde zu einem gebildeten Manne nach Wallenstadt. Mit ernster Miene und mit seltsamen Blicken schaute dieser den Roten an, ihn versichernd, dass es kostbare Steine seien, für welche er eine bedeutende Summe erhalten werde.
Die Steine wurden nach Zürich gesandt, und der rote Hirt ging an jenem Abende seelenvergnügt und etwas angesäuselt zu seiner Familie zurück, ihr die frohe Botschaft von zukünftigem Reichtum bringend. – Im kommenden Frühling zog der Hirt wieder auf die Alp Castelun; von Zürich war noch kein Bericht gekommen.
Am St. Magnustage erschien der Fremde wieder und machte den gewohnten Gang. Zurückgekehrt aus dem Goldloch, fragte er den Hirten mit barschen Worten, ob er etwa das Goldloch besucht und Steine weggenommen habe. Der Hirt bejahte die Frage aufrichtig. Der Fremde sagte dann mit aufgehobenem, drohendem Finger: «Ich bin aus Venedig und kenne die Schätze dieser Erde; ich besitze auch die Kunst, in meiner Heimat mir missbeliebige Personen, und mögen sie auch noch so entfernt sein, aus der Welt zu schaffen. So gewiss du noch einmal die Grotte dort drüben besuchst, so gewiss bist du ein Kind des Todes». Sprach’s und entfernte sich. Er kam nicht wieder, und auch der Hirt besuchte das Goldloch nie mehr; denn im folgenden Winter starb er. Was aus den nach Zürich gesandten Steinen geworden, darüber schweigt die Geschichte. (J. Natsch)

Der silberne Baum.
Hoch oben an der Steinwand, die senkrecht in grauenhafte Tiefe gegen die Talebene zwischen Bärschis und Tscherlach abfällt, sickert an deren Westseite zuzeiten etwas Wasser aus einer Spalte und zeichnet weithin ein nasses Band an dieselbe. Einmal habe ein Venediger, der von Weesen her den Walensee passierte, mit seinem Bergspiegel diesen Fels und sein Wasserband genau und lange fixiert und dann gesagt: „Hinter dieser Wand, unweit der Stelle, wo das Wässerchen zu Tage tritt, steht ein riesengrosser Baum, der aus reinem Silber besteht. Wer ihn gewinnen könnte, würde überaus reich werden.” Der Baum steht noch; denn keiner hat es bisher versucht, den Weg zu ihm zu finden. (O. Giger)

Köstliche Steine.
Durch die Tscherlacher Alp Sennis fliesst der Sagenbach. Dieser führt hinauf in eine Felsenbucht, zwischen Sichli und Gamsberg. In Eindrittelshöhe des letzteren sieht man eine tief und weit eingebohrte Grotte, „Goldloch“ genannt. Von genannter Schlucht aus führt schrägauf ein 20 Meter breites, nacktes Felsband an diesen Ort, der nur von geübten, schwindelfreien Bergsteigern zu erreichen sei, und der Gang dahin müsse barfuss gemacht werden, um dem Fuss festern Halt zu geben. Von daher hätten die Venediger in alten Zeiten unermessliche Schätze an gediegenem Golde geholt und zu den Alphirten gesagt: „Mancher Schweizerbauer wirft seiner Kuh einen Stein nach, der mehr wert ist als die Kuh selbst.“ (O. Giger)

Annelis Grötzli.
Wenn man so vor 60 – 70 Jahren den obern Teil der Bärschner Alp durchquerte, stiess man von ungefähr auf eine Rottannenleiche. Ihr modernder Stamm zeichnete eine ziemlich gerade Linie am Boden hin, die ihre einstige Höhe genau andeuten mochte. Ihr zur Seite lagen die weissgraugebleichten Astüberreste. Dieser Baum wurde „Annelis Grötzli“ geheissen und zwar aus folgenden Gründen:
Ein altes Weib, mit Namen Anna, sei mit Tod abgegangen (ob an dieser Stelle oder wo anders, wird nicht gesagt) und müsse hier wegen eines zu Lebzeiten begangenen Verbrechens „wandeln“ und zwar so lange, bis es von jemandem erlöst werde. Es erscheine in schwarzer Kleidung und weissgrauer Haube, gehe in gebückter Stellung einher, werde von Hirten nicht selten gesehen und nicke gegen sie, wenn es sehe, dass es von ihnen beobachtet werde. Doch die Stunde der Erlösung kam für das arme Weib. Als nämlich einmal ein Knecht dem Sennen erklärte, er fahre mit dem Vieh nicht mehr dahin zur Weide, da das Anneli ihm wieder erschienen sei und den Drohfinger gegen ihn erhoben habe, da hätte dieser im Unmut seinen Stock ergriffen, sei hingeeilt, habe auch sofort das Anneli gefunden und zwar in Gestalt eines halbverfaulten Baumstrunkes, in Mannshöhe mit einem seitlich ausgewachsenen grauweissen Schwamme geziert. Diesen riss der Senn weg, übergab ihn, in der Hütte angekommen, dem Knechte mit den Worten: „Nun habe ich das Anneli erlöst – zum Danke dafür schenkte es mir seine Haube, und ich schenke sie dir nun zum Angedenken an deinen heute bewiesenen Heldenmut in dieser jetzt glücklich abgeschlossenen Schauergeschichte.“ (O. Giger)

Die Mahnung.
In dem untern Teile der Alp Malun breitet sich der schöne Dreierwald aus. Dieser wird nicht selten, namentlich gegen die Zeit hin, wo man anfängt, von Alpentladung zu sprechen, von einem unheimlichen, schrillen Pfeifen durchtobt, aber nur nachts. Dies bringt immer böses Wetter. Eines Abends, die „Vonalpfahrt“ sollte in nächster Zeit stattfinden, wurde das Gepfeife wieder und zwar in ganz scharfer Weise wahrgenommen. Das Vieh wurde unruhig, und der Senn sagte: „Es wäre gut, wenn es daheim in den warmen Ställen seine Ruhe fände.“ Aber es war da weiter nichts zu machen, und Senn und Knechte begaben sich zur Ruhe.
In der gleichen Nacht, kurz nach Mitternacht, weckte der Nachtwächter im tief unten liegenden Bärschis die Bauern. Bald streckten diese die Köpfe zu den Fenstern heraus, und auf ihr Fragen: „Was gibt’s?“ antwortete jener: „Ich höre unser bekanntes Kuhglockengeläute weit droben auf Hinterschindeln und fürchte, unser Vieh ist ausgebrochen aus der Alp und befindet sich auf dem Heimweg.“ Die Bauern spitzten die Ohren und vernahmen gleichfalls das Schellengetön. Bald ging es aufwärts gegen die Alp hin. Bei „Zerfinenplatte“ auf Schuhegg angelangt, liess sich das Geschelle und Gemuhe schon vom Rossmen und Gafortsch her in ohrenzerreissendem Konzert vernehmen. Auf Forkels trafen Vieh und Eigner zusammen, und nun ging’s bei strömendem, kaltem Regen dem Dorfe zu. Anderntags trafen der Senn und die Knechte mit den Kuhketten und andern Gerätschaften ebenfalls ein. Solches veranlagte der Dreierwald mit seinem nächtlichen Pfeifen. (O. Giger)

Triefaugen.
Christian Gall, ein Bärschner, machte sich eines Abends spät von der Alp Malun auf den Heimweg. Drunten auf Forkels hörte er von weit droben aus der Gegend vom Isenberg einen sonderbaren, unschönen, etwas kreischenden Jauchzer abgeben. Er antwortete mit einem in seiner Meinung weit gelungeneren. Doch dieser wurde ihm übel belohnt; am andern Morgen beim Erwachen hatte er blutunterlaufene Triefaugen und behielt sie sein Leben lang. (O. Giger)

Hexentanz.
Zwischen Schuhegg und dem Malunbach, hoch über dem abstürzenden Wasserfall, ist das „Egli“. Dort hielten die Hexen ihre lustigen Feste und Tänze in Gegenwart und unter Anführung ihres schwarzgrünen, bockbeinigen Tanzmeisters.

Die Lilien.
Ihrer zwei, die sich drunten im Tale nicht vertragen wollten, konnten dies auch droben nicht in der Alp, wo sie einmal unverhofft einander trafen. Auch da gab’s Händel, und der eine erschlug den andern und verbarg die Leiche so, dass er hoffen konnte, sie wäre nicht gar aufzufinden. Bald machte er sich auf den Heimweg. Auf einem Felsband, nahe am Wege, sah er einen Busch prächtiger „Ilgen“ (Berglilien). Er brach eine und steckte sie auf seinen Hut. Im Dorfe traf er mit Bekannten zusammen. Die fragten ihn, wie er zu der sonderbaren Hutverzierung gekommen sei. Er besah den Hut und statt der Blumen fand er dort eine Menschenhand. Sprachlos und leichenblass stand er da. Man nahm ihn fest. Er bekannte und gab die Stelle an, wo die Leiche zu finden sei. Der Täter wurde zum Tode verurteilt und mit dem Schwerte hingerichtet. (O. Giger)

Auf dem St. Georgenberg.
Fahrende Schüler haben durch den Bergspiegel in die Felswand hineingeschaut und da, wie an der höher gelegenen Steinwand und im Goldloch der nahen Alp Sennis, unermessliche Schätze von Gold und Silber entdeckt. Den Venedigern verwandelten sich die Steine dieser Gegend in Gold, und aus ihr sollen sie sich alle ihre Reichtümer geholt haben. An der glatten, gewöhnlichen Menschen unzugänglichen Felswand mitten unter den Kapellen befindet sich eine Türe, die ins Innere des Berges zu den Schätzen führt. Diese öffnet sich zuzeiten am hellen Tag. Geistliche Herren treten aus ihr hervor, steigen, man begreift nicht wie, an der Felswand empor zum Gipfel und sonnen da zwischen den Kapellen ihre Messgewänder und allerlei kostbare Geräte. Während dieser Zeit getraute sich niemand, die Höhe zu besteigen. Haben sie ihre Schätze lange genug gesonnt, so kehren sie zurück, verschwinden im Berge, und die Türe schliesst sich wieder. In der Nacht aber gehen auf der Höhe noch viel unheimlichere Dinge vor. Oft, wenn in Flums oder Bärschis die Glocken die Mitternachtstunde geschlagen haben und das Tal im tiefsten Dunkel liegt, wird es da oben plötzlich hell, und man sieht schwarze Gestalten zwischen den zwei Kapellen Kegel schieben. Mit zwei goldenen Kugeln werfen sie unermüdlich nach silbernen Kegeln, und deutlich hört man unten das dumpfe Rollen der Kugeln, das Fallen der getroffenen Kegel und die verworrenen Männerstimmen, bis Schlag ein Uhr plötzlich alles verstummt und verschwindet. Von den schwarzen Gestalten tragen einige eine weisse Kopfbedeckung; bei den meisten aber ist nichts Weisses mehr zu sehen. Jene sind noch erlösbar, diese nicht. (O. Giger)

Wodan, der Gott der Winde, ist auch der Gott des bewegten nächtlichen Spiels. An seine Stelle trat in der christlichen Zeit vielfach der hl. Georg, der Patron der Ritter und reichen Herren. Wirklich ist das sehenswerte alte Wallfahrtskirchlein dem hl. Georg gewidmet, und das lärmende Gefolge des einstigen Heidengottes wurde zu einem Heer unruhiger Geister, die mit ihrem Spuk noch die Gegenden erfüllen, an denen ihr Herr und Gebieter einst am eifrigsten verehrt ward. Der St. Georgsberg ist ohne Zweifel eine uralte Kulturstätte; er war ein natürlicher Opferaltar für die heidnischen Festgelage; auf ihm stand auch ein römisches Kastell, dann im Mittelalter ein kleines Beguinenkloster, was alles der Volksmund in seinen Sagen bis auf unsere Zeit festgehalten hat. (Nach Dr. E. Buss)

Getroffen.
Ein Jäger zu Bärschis ging ins nahe Gebirge auf die Jagd. Er wurde eines Fuchses ansichtig, konnte aber nicht zum Schusse kommen, obschon er mehreremale in die Nähe des Wildes kam; denn der Fuchs wusste immer noch rechtzeitig durch einen Busch oder eine Kluft zu entwischen.
Als der Jäger auf dem Heimwege unten am Waldsaume bei einem alten Häuschen vorbeikam, schlüpfte der besagte Fuchs soeben durch ein Hinterfenster hinein. Bevor dieser aber noch ganz in Sicherheit war, sandte ihm der Jäger noch flink einen wohlgezielten Schuss nach und begab sich dann selbst in die Hütte mit der Hoffnung, die Beute endlich erwischen zu können. Er fand niemand anwesend als ein Kind, welches sich in der Stube befand und auf die Frage, wo die Mutter sei, mit betrübter Miene antwortete, diese sei soeben heimgekommen, habe an den Beinen stark geblutet und liege nun im Bette. Nun wollte der Jäger nicht weiter dem Fuchse nachspüren und machte sich aus dem Staube. (J. Natsch)

(Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen von J. Kuoni. St. Gallen, 1903)

***

Ein schöner Brauch im St. Galler Oberland ist das Alp-Einsegnen. Etwa drei oder vier Wochen, nachdem zur Alp gefahren ist, geht der Ortspfarrer, von den Gemeinderäten begleitet, auf die Alp und spricht gewisse Gebete, dass Gott die Knechte, das Vieh und die Alp gnädig erhalten und vor Unglück bewahren möge.
Der Besitzer eines höheren «Säss» sandte dem Pfarrer als Dank jeweils einen prächtigen Alpkäse ins Tal hinab; dafür aber musste der Pfarrer zum Einsegnen in das obere «Säss», obwohl ein sehr steiler und rauher Weg dahin führte. Einmal dachte der gute Pfarrer, er könne eigentlich den Segen von unten herauf geben, er brauche dann den mühsamen Weg nicht zu machen. Gedacht, getan. Diese Einsegnung hat aber den Senn furchtbar geärgert. Als die Zeit kam, in welcher er dem Pfarrer allemal den Käse geschickt hatte, ging er in die Hütte, holte einen mächtigen Käse, stellte sich mit diesem auf eine Anhöhe, von welcher er schön auf das Dorf und den Pfarrhof hinunter sehen konnte, hob den Käse mit beiden Händen in die Höhe, machte damit auf und ab und links und rechts, wie wenn er mit ihm den Segen geben wollte, und trug ihn nachher in den Keller. Auf diese Weise konnte sich der Senn den beschwerlichen Transport des Käses in den Pfarrhof ersparen.

(Quelle: Schwänke und Schildbürgergeschichten aus dem Sarganserland. Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 1911)

Feuchte Touren in die Churfirsten

Kurfirsten, am 23. und 24. Juni. Nachdem acht Tage früher das Wetter einen Aufschub der Tour veranlasst hatte, fanden sich an den genannten Tagen fünf Mann dazu ein. Einem der Teilnehmer verdankt der Korrespondent folgende Angaben.
Am 23. Juni brachte die Eisenbahn unsere Clubisten abends 6.30 nach Ebnat; ein Wagen führte sie nach Stein, von da ab traten die eigenen Hebelarme in Thätigkeit zur Beförderung nach Unterwasser in fröhlichem Marsch durch das tannengrünne Toggenburg. In Wattwyl wurde das Häuflein vom Präsidium der Sektion Toggenburg begrüsst, welches auch in freundnachbarlicher und dankenswerter Weise für Unterkunft und Führung gesorgt hatte.
In Unterwasser wurde dann der designierte Exkursionschef erwartet, der mit einem späteren Zuge nachkommen sollte. Aber eine Stunde um die andere und eine Flasche um die andere verrann, ohne dass der Erwartete eintraf, worüber es etwas spät wurde.
Des Morgens, nicht allzufrüh, beim Abmarsch seien der Himmel und meines Gewährsmannes Kopf etwas bewölkt gewesen. Dennoch erreicht man zu guter Zeit den Gipfel des Hinterruck. Der Himmel machte nicht das gnädigste Gesicht, und so wurde die Hauptrast nicht auf dem Gipfel, sondern erst beim Abstieg gemacht, der zwischen Hinterruck und Käsernruck gegen Wallenstadt führte. Ein Vorsprung gegen den Wallensee bot eine wunderschöne Aussicht auf die herrliche Wasserfläche und den wilden Mürtschen gegenüber. Die Sonne war mittlerweile durchgebrochen und in die Rüfen, welche der Führer, teilweise etwas abenteuerlich zum Abstieg wählte. Nach 4 ½ stündigem Marsch wurde schliesslich doch Wallenstadt erreicht und abends die lange Heimfahrt angetreten, die uns jeweilen zum Schluss unserer Bergfahrten beschieden ist.
(Quelle: Alpina 1895)

Sektion Piz Sol.
Sektionstour. … Samstag 26. Mai, abends 7 Uhr 18 Abmarsch vom Bahnhof Wallenstadt. Himmel bewölkt, Regen verheissend. Ankunft auf Hochruck 9 ¼ Uhr. Nach einem reichlichen Nachtessen liess unser neues Sektionsmitglied Herr Baumeister Bürer, der uns in seinem schönen Kurhaus beherbergte, eine Batterie Ölberger auffahren, bei denen sich das denkbar fröhlichste Hüttenleben entwickelte. Um Mitternacht war der Himmel fast wolkenfrei. Sterne in unendlicher Zahl. Kein gutes Wetterzeichen. Unser freundlicher Wirt wies jedem ein Bett an und auf neugefüllten Laubsäcken schliefen wir bis zur Frühdämmerung. Solides Morgenessen. Unser Präsident machte noch einige sehr gelungene photographische Aufnahmen. Gegen 5 Uhr bei bewölktem Himmel Abmarsch, über die Churfirstenalpen Schrina, Schwaldis und Säls zur Gacht hinauf. Wilde Schneewolken flogen über die Gipfel des Leistkamm und Nägeliberg. Wir stiegen mutig der Höhe zu. Unten an der Gacht wurde mit Wegmarkieren angefangen und bis zur Passhöhe etwa 20 Zeichen mit roter Ölfarbe angebracht. Die Ausführung fiel von Amts wegen dem Aktuar zu unter bereitwilliger Assistenz von Herrn Spoerry. Das Klettern mit Pinsel und offenem Farbkessel war eine etwas kitzliche Sache. Die Gachtruns war noch mit Schnee gefüllt. Die durch ihre Leistungen bekannten Wildhüter in Wallenstadt sollen uns einen schmählichen Rückzug prophezeit haben. Wir stiegen rechts von der Gachtruns hinauf, und schon um 7 Uhr standen wir auf der Passhöhe. Das Hochthal zwischen Leistkamm und Nägeliberg ist mit mächtigen Felsblöcken, einem Bergsturz vom Nägeliberg überdeckt. Das «zerstörte Jerusalem» werde dieses wilde Trümmerfeld genannt, eine passende Bezeichnung. ¾ Stunde Rast. Dichter Nebel, feiner Sprühregen. Als die Fortsetzung der Tour in Frage kam, beschlossen der Aktuar und Herr Spoerry, die Gesellschaft mit der Macht des Beispiels hinzureissen. Ueber die Felskante gegen den Wallensee hinauf zum vordern Leistkamm und über die schneegefüllte Einsenkung zum hintern Leistkamm hinüber. Zu oberst an demselben wurde aus Übermut noch eine Kletterpartie gemacht. Ankunft gegen 9 Uhr. Schneegestöber. Ein seltener Genuss. Alles beim besten Wohlsein an Leib und Seele. Versuche mit Aneroïdbarometer und Siedetemperatur-Höhenmesser. Flasche mit Inschriften. … 1 Stunde Aufenthalt. Abfahrt durch eine Schneeruns, prächtige Rutschpartie, zur Alp Looch. Hier machte unser Präsident beim Regen photographische Aufnahmen, die das eigentümliche haben, dass die vertikalen Dimensionen vergrössert, die horizontalen verkleinert sind. Die menschlichen Figuren sind von einer wunderbaren Schlankheit. Physikalische Ursache, ovale Form der Regentropfen? – Auch den blühenden Alpenpflanzen wurde gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Der Tourist im Hochsommer hat von der Farbenpracht und dem Formenreichtum der Frühlingsflora in den Bergen keine blasse Ahnung mehr.
Amden präsentierte sich wunderschön. Bäume, Wiesen und Gärten in voller Blüte, unten der tiefblaue Wallensee, darüber die noch schneeweissen Glarnerberge. Nach einem einfachen Mittagessen im «Hirschen» gingen wir langsam durch die neue Bergstrasse Fly und Weesen zu. Fly-Weesen Vitznau Montreux Nizza, keine Ironie! Noch einige Zeit feuchtfröhlichen Lebens in Weesen, dann brachte uns der Zug wieder heim.
Witterung und Jahreszeit sind für begeisterte, erfahrene und abgehärtete Clubisten keine Hindernisse. Unüberwindlich ist einzig tiefer Neuschnee an sehr steilen oder coupierten Abhängen, wo Schneeschuhe nicht mehr gebraucht werden können. Ein Pereat allen Philistern und Pharisäern in der Clubistenwelt! (J. B. S.)
(Quelle: Alpina 1895)

Sekton Toggenburg.
Unsere zweite Vereinstour wurde am 26. Mai auf den Leistkamm (2105 m) gemacht. Samstag Abend ging’s mit dem Zug von Wattwil nach Ebnat und von da bei etwas zweifelhaftem Wetter das tannengrüne Obertoggenburg hinauf. Wir machten mit unsern Bergstöcken und Tornistern nicht wenig Aufsehen; die einen wünschten uns mitleidig, die andern hohnlächend «guete Abed». In drei Stunden waren wir in Starkenbach. Während wir uns bei Hrn. Bosshard treffliche restaurierten, verschwanden die Wolken, und tausend Sternlein wünschten uns «gute Nacht». Desto erstaunter waren wir morgens vier Uhr, als schwere Regenwolken die Berge herunterhingen. Dennoch rüsteten wir uns schnell zum Abmarsch, um wenigstens die Amdenerhöhe zu passieren. Anfangs benützten wir den «Selunerweg», um dann bald in der Alp Hofstatt rechts abzuschwenken und dieselbe ihrer Länge nach zu durchschreiten. Hier begegneten wir einem prächtigen Reinecke, der von einer Rekognoszierung heimkehrte, und scheuchten nachher ein Rudel weidende Gemsen auf, die wir dann in nächster Nähe betrachten konnten. (Ist übrigens im Churfirstengebiet keine Seltenheit). Nach zweistündigem Marsch waren wir auf der Grathöhe (1703 m) am Fusse des Leistkamm. Trotz dem sich immer mehr zusammenziehenden Gewölk beschlossen wir, die Höhe des Leistkammes zu ersteigen. Wir nahmen den Weg direkt durch die Legföhren hinauf. Plötzlich schoss der Nebel thalwärts und verdichtete sich zu starkem Nieselregen. Nach einer Stunde waren wir oben, hatten also von Starkenbach aus bloss drei Stunden gehabt. Wir wurden von kaltem Nord und «Schneebollen» begrüsst. Unser Dichterling, der sonst auf solchem Standort nicht wortkarg ist, brachte es bloss auf folgende zwei Verslein:
Da sind wir nun auf stolzer Höh’
Und sehen weder Thal noch See.
Die Nebel fliegen um uns her
Als ob es noch Dezember wär.
Die Winde pfeifen schaurig kalt
Durch Mark und Bein bei Jung und Alt.
Gequält von Hunger und von Durst,
Greif’ jeder nach Getränk und Wurst.
In einer Stunde waren wir den Leistkamm hinunter, nahmen dann den Weg über den Fliegenspitz nach der Alp Grappen. Hier entschlossen wir uns, auf den Weg Amden-Weesen-Uznach-Ricken zu verzichten und direkt Stein zuzukehren. Um halb 12 Uhr kamen wir dort an. Nachdem wir unserm Humor dort einige Stunden freien Lauf gelassen, kehrten wir zu Fuss nach Wattwil zurück, wo wir abends 6 Uhr anlangten. Jeder hatte also noch Zeit, sich für den Abendschoppen zu rüsten, der jedem nach zwölfstündigem Marsch gut schmeckt. Vivat die Berge! (M.)
(Quelle: Alpina 1895)

Der Blick vom See aus

… Quartnerberg / an dem Wallenstatter-See ligt ob Quarten.
Quintnerberg / an gleichem See / erhebt sich ob Quinten: diese beyde Dörffer haben die alten Namen der Römischen Colonien behalten. …
Schrynen an dem Wallenstatter-See / stosset an den Schwalbis.
Schwalbis an der mittnächtigen Seite des Wallenstatter-See / stosset an Josen.
Selunerstok / Lunerruk im Toggenburg / wird also genent von der Alp Selun / oder Sylin / und von der gestalt eines Ruken; da sihet man eine seltsame Höle.
(Quelle: Helvetiae stoicheiographia. Orographia et Oreographia. Oder Beschreibung der Elementen/Grenzen und Bergen des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands. Erster Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1716)

… Wer von Zürich herkommt, erblickt den Walensee zuerst bei Weesen.
… aber das Auge fühlt sich doch mehr angezogen durch die kräftigen Bilder in der Nähe, den Anfang des Walensees mit seinem bewaldeten Ufer diesseits, der schroffen Felswand jenseits, woneben in grüner Bergmulde die von den letzten Sonnenstrahlen erglänzende Kirche von Amden auf die zahllosen, weit zerstreuten Häuser und Hütten dieser Berggemeinde wie eine freundlich lächelnde Mutter auf ihre Kinderschaar herabblickt. …

… Wer Geschichts- und Sprachforscher zugleich ist, der findet am Walensee manche Probleme, wer aber auch überhaupt nur ein Interesse für die Vorzeit einer Landschaft hat, in welcher er sich zeitweilig aufhält, der muss hier auf die Ortsnamen Quinten, Quarten und Terzen aufmerksam werden und fragen, woher diese lateinischen Formen neben den vielen deutschen und rhätischen Ortsbezeichnungen stammen. Eine gewöhnliche Antwort darauf, die auch in die rothen Bücher übergegangen ist, lautet, es seien dies zur Römerzeit Militärstationen, Warten oder Lagerplätze gewesen und es werden auch die Orte Primsch oder Brämisch und Gons oder Segons als Prima und Secunda in die Reihe gezogen. Allein diese landläufige Meinung hat vieles gegen sich. Wer auch nur das immer in die Augen springende Quinten sich ansieht, auf einem sehr schmalen abschüssigen Uferrande, am Fusse der senkrecht über 6000 Fuss aufsteigenden Kurfirsten gelegen, so dass nur gewandte Kletterer von da nach Walenstad gelangen können und die Kommunikation mit der Welt nur zu Wasser möglich ist, der muss zweifeln, dass die im Militärsache sehr praktischen Römer diesen abgeschiedenen Ort zu einer Militärstation gewählt haben sollten, während dieses für Quarten und Terzen an der andern Seite des Sees wohl möglich wäre. Zudem korrespondiren die fünf nahe bei einander liegenden Orte nicht in der Art mit einander, wie man es erwarten dürfte: von Primsch aus sieht man keinen der übrigen Plätze und von Gons aus nur Quinten. Der Hauptgrund aber, den der gelehrteste Alterthumsforscher in der Schweiz, Ferd. Keller, gegen jene Annahme, nach genauen Erkundigungen und Nachforschungen an Ort und Stelle, geltend gemacht hat, besteht darin, dass an keinem der fünf Orte Ueberreste römischer Bauten und künstliche Erhöhungen und Vertiefungen in der Erde sich finden, wie sie nicht fehlen würden, wenn die Römer für militärische Zwecke sich dort festgesetzt hätten. Der genannte Gelehrte nimmt daher an, es seien jene Namen im frühen Mittelalter entstanden und er vermuthet, dass durch dieselben die Besitzungen eines weltlichen oder geistlichen Grundherrn bezeichnet wurden, zur Zeit, als diese Lokalitäten noch nicht mit Häusern besetzt, sondern gleich andern, jetzt zu Ortschaften gewordenen Gütern, Roncalia, Reutenen, noch unbewohntes und eines bestimmten Namens entbehrendes Land oder Weideplätze waren. Das genannte Quinten, dessen Bewohner nicht Quintaner, sondern Quintener heissen, so einsam es auch daliegt, hat gutes Weideland und selbst einige Weinberge, die feurigen Wein liefern, so dass es den Leuten nicht an «Trosteinsamkeit» fehlt, und sie fühlen sich auch nicht so abgeschieden von der Welt, als man glauben sollte, denn nicht leicht hält Wind und Wetter sie ab, sich mit ihren Böten auf den See hinaus zu wagen und nach Walenstad überzusetzen oder nach Quarten, wohin sie kirchgehörig sind. Ein junger Bauer, gegen den ich äusserte, mit welcher Gefahr doch das Leben der Quintener verbunden sei, erwiderte lachend über meine Unkenntnis, er habe noch nie gehört, dass ein Quintener ertrunken sei. Es kam ihm der Gedanke so sonderbar vor, als wenn ich gesagt hätte, ein Fisch könne ertrinken. Die übrigen Anwohner des Sees schreiben ihnen eine wahre Katzennatur zu und behaupten, wenn das Boot eines Quinteners umschlage, so klettere er auf den Kiel, und wenn das Schiffli vom wilden See verschlungen werde, so schwimme er ans Land. Sonst ist der Walensee berüchtigt genug und hat manches Opfer gefordert. Da er nur gegen Morgen und Abend offen ist, so sind die regelmässigen Winde der Ost- und Westwind, die in guter Jahreszeit sich sehr ordnungsgemäss ablösen: Morgens bis zehn Uhr Ostwind, dann bis ein Uhr Windstille, von ein Uhr bis gegen Abend Westwind, und um Sonnenuntergang stellt sich wieder der Ostwind ein. Bisweilen laufen Ost- und Westwind der Länge des Sees nach nebeneinander, so dass die Schiffe auf der einen Seite «obsi», auf der andern «nidsi» segeln können. Seltener, aber gefährlich sind der von dem Gebirge in den Wasserspiegel herabstossende Föhn und der die Wellen dem Kerenzerberge zuwerfende Nordwind. Der letztere, auch Bättliser genannt, von dem Ort, an welchem er in den See braust und unter diesem Namen in der Volkssage als böser Geist personifiziert, ist der gefürchtetste von allen Winden und scheint auch das grösste Unglück, von dem die Geschichte des Walensees meldet, den Untergang des Dampfschiffes Delphin in der Nacht vom 16. bis 17. Dezember 1850 veranlasst zu haben. Ein alter Schiffmann, der mir über dieses Unglück berichtete, nannte aber diesen Wind den Wind vom «Blättli» und zeigte auf diesen Punkt im Gebirge an der andern Seite von Amden, nach Weesen zu. Wäre die alte Schifffahrtsordnung noch in Uebung gewesen, nach welcher die Nachtfahrten auf diesem See gänzlich verboten waren und kein Schiff, das älter war als drei Jahre, in den See tauchen durfte, so hätte sich dieser traurige Fall nicht ereignet. …

Der Walensee als grosse Wasserstrasse ist jetzt leer geworden, seit die Eisenbahn durch die kühnen Tunnel an südlichen Gestade sich hindurchwindet. … Die Tunnelfahrt wird meistens als sehr interessant gerühmt und kann auch so genannt werden, aber ich finde wenig Geschmack daran, da ich die Dampfschifffahrt, welche zwischen den beiden Eisenbahnzügen eine so schöne Abwechslung bot, noch zu deutlich in Erinnerung habe und wie man auf ihr in einer Stunde so ruhig den ganzen See und seine beiden Ufer bis zu den Berggipfeln überschauen konnte, während man jetzt nur verstohlene Blicke auf den See und an die Felsen des nördlichen Ufers wirft …

Die Art, den Walensee zu bereisen, hat überhaupt verschiedene Phasen durchgemacht, wenn man sie von der Zeit an verfolgt, als der geniale Künstler und ritterliche Abenteurer Benvenuto Cellini vor mehr als dreihundert Jahren auf seiner Reise von Italien nach Paris hier passirte. … Cellini trat mit seinen beiden Begleitern die Reise von Padua zu Pferde an und erzählt von seiner Reise, «… und kamen zu einem Orte, der wenn ich mich recht erinnere, Valdista (Walenstad) hiess, wo wir Quartier nahmen. Des Morgens zogen wir ab und kamen an einen See, der zwischen Valdista und Vessa (Weesen) liegt und fünfzehn Miglien lang ist. Als ich die Kähne dieses Sees sah, fürchtete ich mich, denn sie sind von Tannenholz, weder gross noch stark noch verpicht … Als wir ungefähr vier Miglien zurückgelegt hatten, fing der See an stürmisch zu werden, … In dieser Todesgefahr fuhren wir einige Miglien weiter. … an einem niedrigen Platz des Ufers … das erlangten wir mit grosser Schwierigkeit. Als wir aber ans Land gestiegen waren, mussten wir zwei Miglien einen Berg hinauf, schlimmer als hätten wir über eine Leiter steigen sollen. Ich hatte einen schweren Ringpanzer an, dicke Stiefeln, eine Flinte in der Hand und es regnete, was Gott nur schicken konnte. … aber die unsrigen ((Pferde)) taugten nicht dazu und wollten vor Anstrengung umkommen, als wir sie diesen beschwerlichen Berg hinaufzwingen mussten. … so dass wir endlich bei dem allereinsamsten und wildesten Wirthshause ankamen, durchweicht, ermüdet und hungrig. Man nahm uns freundlich auf; wir ruhten aus, trockneten uns und stillten unsern Hunger.» …  Man erfährt nicht, wo Cellini mit Gewalt die Landung erzwang. Wenn der Ort, wie man vermuthet hat, das jetzt so liebliche Bättlis gewesen ist, von wo der steile Fussweg auf den Ammonn jedenfalls nicht bequemer war als gegenwärtig, so begreift man, dass einem bepanzerten Manne mit Reiterstiefeln diese Tour halsbrechend vorkommen musste. …

Bättlis ist eine romantische lieblichgrüne Oase, ein kleines Paradies, wie hingezaubert zwischen der grauen Felswand und dem tiefen See. Hoch oben vom Felsen eilt der Serenbach, um als silberheller Wasserfall sich mit dem Beyerbach zu verbinden, dessen Wasserfülle unmittelbar unten aus dem Felsen hervorströmt und, sei es wegen der immer gleichen «rinnenden» Wassermasse oder weil man glaubt, er sei ein Arm des Rheins, der sich durch den Berg eine Bahn gebrochen, in der Gegend der «Rhîn» genannt wird. Hinter der Oeffnung, aus welcher das Wasser hervorschiesst, soll im Innern des Berges ein See sein. Auf der Brücke, die über den Strom gelegt ist, wird man von dem Tosen des Wassers betäubt und weithin am jenseitigen Ufer des Sees hört man das unablässige Rauschen. Nicht weit davon schaut die Ruine Stralegg trotzig in den See hinaus und dort soll der böse Geist hausen, der als «Bättliser» Schrecken verbreitet und die Schiffe, die sich in der Nacht hinauswagen, in die Tiefe wirft. …

Bei einem Gewitter kommt es oft vor, dass es bis unter Quinten regnet und rinselt, während der See nach Weesen zu spiegelhell ist; wenn aber das Gewitter in voller Kraft auftritt, so wird der Donner von Wand zu Wand geworfen und sein Rollen hat kein Ende, während Blitz auf Blitz rasch an den starren Felsen zerschellt. …
(Quelle: Wanderstudien aus der Schweiz. Erster Band. Von Eduard Osenbrüggen. Fr. Hurter’sche Buchhandlung, Schaffhausen, 1867)

… Am Walensee wird der Gebirgswanderer auf das vorbereitet, was ihn da hinten in jenen erhabenen Bezirken erwartet. Es liegt dieser See gleichsam vor der Schwelle der Alpenwelt, und die eiligen Wasser, die sich mit den seinigen mischen: im Osten die Sez bei Walenstad, im Westen, in der Nähe Wesens, die Linth, die Murg von Süden her, leiten in die prächtige Gebirgswelt der hintern St. Galler und Glarner Alpen hinein, …

… die wildtrotzigen Reckengestalten der Churfirsten. Diese gehören dem Lande der Hirten und diese möchten sie wohl hin und wieder die «Kuhfürsten» nennen, wer aber der alten Herrlichkeit des Reiches gedenkt, begabt sie mit dem Namen der «Sieben Churfürsten», führt ja einer der Firsten sogar den Namen Kaiserrück. Sie aber haben nichts mit Kühen und Kaiserwahlen zu thun, sie sind freie Leute, heissen Churfirsten, die Grenzgipfel des antiken Churwalengau’s, der im Süden bis zu den Quellen des Hinterrheins, an die Felsmauern der Adulagruppe reichte.

Damals schied Wälsches und Deutsches sich noch scharf. Die Alemannen staueten sich an der Limmat bei Wesen und am Rheine blieben sie auf dem rechten Ufer der Iller, auf deren linkem der Walgau begann, stehen. Zwischen den alemannischen Ansiedlern an der Limmat aber und den Wälschen drüben in Churwalden breitete sich der See, der denn den Namen Walensee, der See der Wälschen, erhielt. Das jenseitige Gestade, das seine Anwohner Riva nannten, wie auch der See von Alters her Lacus rivanus und seine Hauptstadt Portus rivanus genannt ward, hiess bei den Deutschen das Gestade der Walen oder Walenstad, ein Name, der ihm bis heute geblieben. Der Ort lag damals an den Grenzen des uralten Bisthums Chur, und von ihm aus setzte die wichtige Strasse, die Rhätien und Gallien verband, von Curia nach Turicum hinüber und führte nach Vindonissa. Da ward der See noch ein wichtiges Glied in der grossen Strassenkette, und Portus rivanus bedeutete gar viel als Landungs- und Verladungsplatz, wie als strategischer Punkt.

Doch lange bevor noch Römercohorten oder deutsche Scharen die Strasse von Sargans her über den See zogen, schritt ein ganz andrer, ein viel mächtigerer Fürst diese Bahn, ein freigeborener Sohn der Berge: niemand Geringeres als er, der junge Rhein. Zwar Pergamente beweise dies nicht, und Viele zucken ungläubig die Achsel und verweisen diese uralte Pilgerfahrt des Rheins in das Reich der Fabel. Und doch, wie leicht möglich war es ihm, ehe er noch die Felsen zwischen Gonzen und Fläscherberg durchbrochen, in der allzeit bequemeren Diagonale links hinüberzuschwenken, von Sargans ab aus dem Bett der heutigen Seez sich in den Walensee zu stürzen, von diesem durch die jetzt modernisirte Linth der Marchebene und durch den Zürichsee zu laufen, von wo aus der Weg, der ja heute für Limmat und Aare viel zu breit ist, bis Waldshut gar leicht zu finden gewesen wäre. …

Gewiss haben alle, die von Zürich her nach Wesen kamen oder von Sargans aus die Bahn am Südufer entlang fuhren und es ihnen gerade mit einem blitzenden Sonnentage glückte, geblendet die Augen geschlossen, wenn sie bei einem überraschenden Durchblicke den See zum erstenmale erschauten. Dann aber erfasst das Auge eine förmliche Schauleidenschaft, und das grosse Bild: gegen Norden die starren, graugelben, tiefzerklüfteten Felsenmauern, die unvermittelt aus dem Wellenbade einer blaugrün-goldigen Fluth, vier- bis sechstausend Fuss hoch in die schwebenden Wolken hineinsteigen, die schäumenden Fälle der Gebirgsbäche, die wie leuchtende Nymphenschleier aus dunklem Geklüft herabflattern, in dem Geklüft der Höhe dann einzelne weissglänzende Wohnungen von Menschen, zu denen die kleinen geduckten Häuser und Hütten aus der Nachbarschaft der Wellen emporschauen, dann das üppig umlaubte, von südlichen Kränzen und Blumen umschlungene diesseitige Ufer, dazu die fernen sanften Glocken weidender Heerden – ein Jauchzer in der Höhe – ein Steinadler ausgebreitet über den zerklüfteten Gipfeln der Churfirstenkette – dieses grosse, reiche Bild macht die Seele trunken vor Lust.

Voll Trotz aber und wie voll Neid über die Reize des sanftgeformten Südufers blicken die wilden Berge von drüben herüber, und da geschieht es denn gar oft, dass sie die schwarzen Wolken von nah und fern herbeiwinken. Und sie kommen. Zuerst sich die flatternden Säume an den Spitzen der Felsen zerreissend, werden sie alsbald vom Leistkamm dem Selun, von diesem dem Brisi, dem Hinterrück, dem Sichel- und Ochsenkann in massigen Ballen zugeschleudert. Dann füllen sie, sich aufbäumend, die unheimlichen Schluchten, dann steigen sie tiefer und tiefer. – Schwarze, zuckende Schatten gleiten über den See, denen sich weissblitzende Schäume mischen. Ein dumpfes Getön erbraust in dem Geklüft der Churfirstenkette – die Sonne löscht aus, und wie des Zeus Riesenvogel stürzt sich der Nordwind breit und schwer in reissender Wucht auf die erschreckten Fluthen. Auf schäumen diese und steigen hoch und höher! Sie ringen miteinander, sie umarmen die Felsen und möchten an diesen hinaufklettern in Wuth und Angst.
Das ist der tolle «Blättiser», der böseste Gast des schönen Walensee’s, der durch ihn nie zum Frieden kommt, und der auch der Menschenleben in den seebefahrenden Barken so manche schon gefährdet, ja sogar schon einmal in wilder Winternacht ein Dampfschiff mit allem Leben darauf in der nichts zurückgebenden Fluthentiefe begrub. Durch diesen Wind wird der See trotz seiner Schönheit zum unheimlichsten des Schweizerlandes.

… Dieses alte Quinten hat seine Brüder, welche Terzen und Quarten heissen, hier auf dem südlichen Ufer und aus diesen Namen schloss man, dass einst die Römer auf diesen Bergen sassen und ihre militärischen Feuerzeichen von einem Ufer zum andern spielen liessen. … Während aber sämmtliche Militärstationen später ihre Bedeutung verloren und von friedlichen Hirten eingenommen wurden, blieben Walenstad und Wesen immer von Wichtigkeit wegen der Schifffahrt und des steten Durchzugs wälscher und deutscher Waaren.
In unserem Jahrhunderte gab es Dampfschiffe auf dem Walensee, bis endlich in der neuesten Zeit die Eisenbahn sich in die Uferberge des Südufers gedrängt hat und durch Tunnel und Ueberbrückungen, oft hart über den Wellen, von Walenstad nach Wesen schreitet. Da hat die Dampfschiffahrt aufgehört.

Wesen! Das kleine Wesen, das sich wie ein Kind, welches das Wasser scheut und den Fuss zurückzieht, an die Felsen der Westspitze des See’s gedrängt hat und halb auf die hinansteigt, übergrünt von sorgfältig bebauten Wein- und Gartenterrassen, …
(Quelle: Das Schweizerland. Eine Sommerfahrt durch Gebirg und Thal. Woldemar Kaden, 1875-1877)

Bei frühem Morgen verliess ich das traurige Wallenstadt. Auf einem trockenen Wege in der Mitte von Sumpf zu beiden Seiten gelangt man in einer Viertelstunde an das Seeufer. Hier wo die Kähne und Schiffe abfahren und anlanden, steht ein Gebäude (Gebäude, welche diese Bestimmung haben, werden in der Schweiz Süsst genannt), worin die Kaufmannsgüter, welche aus Italien kommen, bis zur weitern Reise niedergelegt werden. Als der Levantische Handel in den Händen der Venetianer und Genueser lag, war der Waarendurchgang auf dieser Strasse durch Graubünden über den Wallen- und Zürchersee ausserordentlich. Der lebhafte Betrieb, welcher dadurch in diese Gegenden verbreitet wurde, ist gesunken, seitdem die asiatischen Erzeugnisse auf andern Wegen nach Europa kommen; und das Gewerbe, welches der jetzige Waarentransport veranlasst, steht damit in keinem Vergleich. Doch ist er immer noch von der Wichtigkeit, dass die Regierungen der Kantone Glarus, Schwiz und Zürich die Schifffahrt auf diesem See und durch die Linth nach dem Zürichersee der Aufsicht eigends dazu bestellter Beamten anvertrauen, welche über die Beobachtung der Schifffahrtsregeln zur Sicherheit der Kaufmannswaaren wachen. Jeder Nachen auf dem See darf z. B. nicht länger als drei Jahre gebraucht werden. Die Schiffer müssen immer auf die Mittagsseite lenken, weil sich dort zwei Stunden weit landen lässt, im Fall plötzlich Stürme auftreten. Die Preise für die Schiffleute sind bestimmt: für den offnen Nachen und zwei Ruderknechte von Wallenstadt nach Wesen ist zwei Gulden, Wein und Brod für 15 Kreuzer festgesetzt; ein weisses Tuch über den Kahn zum Schutze gegen die Sonne kostet 1 Gulden.

Freudig sprang ich in den Nachen, der mich über diesen See von so wilder Physiognomie führen sollte. Das Wetter war schön und heiter, und ein milder Ostwind trieb uns vom Ufer. Welch ein neuer ausserordentlicher Anblick in dieses Felsenperspektiv nach Westen über den 4 Stunden langen Wallensee! Hier zeigt die Natur ihren Charakter in allmächtigen Zügen; Form, Ausdruck, Farbenton, Alles trägt Eigenthümlichkeit, und erhält den Seher in stetem Erstaunen. Auf der Nordseite, von Wallenstadt an bis Wesen, stürzen fürchterliche Felsen senkrecht in die schwarzen Fluthen. Mittagwärts ziehen hohe, aber grüne fruchtbare Berge bis Müllihorn, und gehen dann plötzlich in eben so nackte Felsen über, wie am nördlichen Ufer. Westlich rücken die Glarner Gebirge hinter Urnen durch optische Täuschung so nahe am See, dass sie dessen Kessel dort zu schliessen scheinen. Wer könnte sich erkühnen die Umrisse dieses wilden grossen Ganzen mit anschauender Wahrheit zu zeichnen und das mannigfaltig wunderbare Gemisch ihres Ausdrucks in allen Theilen mit getreuen Farben vor Augen zu mahlen! Das Ganze und das Einzelne, Alles ist hier im höchsten Grade mahlerisch, und ein Landschaftszeichner könnte an diesem See ein langes Studium hoher Gebirgsgegenden finden.

Wir steuerten nördlich gegen die ungeheuern Felsen Schwalbis und Joosen. Diese Felsmasse wird auch Ochsenkamm und Sichelkamm genannt. Der Sichelkamm setzt vom See hinter Wallenstadt fort, und trägt eine Reihe nackter Felshörner, welche man besonders in der nördlichen flachen Schweiz sehr deutlich sieht, und mit dem Namen der sieben Churfürsten bezeichnet. Kuhfürsten heissen diese Hörner, aber nicht Churfürsten, wie der Züricher sie nennt. Als ich ihren nackten grässlich zerrissnen Wänden näher kam, verwandelte sich mein Staunen in angstvolles Entsetzen; die furchtbaren Steinmassen über meinem Haupte zermalmten mich schwaches Insekt. Hier wartet dem armen Schiffer bei Sturm Verderben und Tod; kein Plätzchen zum Landen, kein Felsvorsprung zur Rettung des Unglücklichen; glatt und senkrecht ist die Wand, klafterhoch schlagen schäumend die Wogen, Untergang ohne Erbarmen brüllt Fluth und Felsenecho dem Bebenden zu, das Schiff zerschmettert unter zischender Wuth und sinkt in die schwarzen Abgründe des Sees. Mein Weilen war nicht lange; ich liess wenden und gen Mittag rudern, wo bewaldete Berge und freundliche Ufer dem Auge Erholung geben. Diese sanftern Formen müssen in der Nähe betrachtet werden, um ihre Schönheiten zu geniessen. … Mit jedem Ruderschlage, der dem südlichen Ufer näher bringt, entwickelt sich immer mehr die furchtbare Höhe und Gestalt der nördlichen Felsmauern.

Mitten in dieser grässlichen Natur, wo vom See bis zu den höchsten Spitzen nichts als graue Nacktheit herrscht; entdeckt man Menschenwohnungen. Am Fuss des Quintenbergs neben dem Joosen an einer Kluft liegt Quinten, das einzige Dörfchen auf dieser Seite, dessen Häuser an den ungeheuern Wänden kleiner noch als Kartenhüttchen sich zeichnen. Hin und wieder giebt es Felsvorsprünge, deren obere Flächen mit dem hellsten Wiesengrün überzogen sind. An manchen Punkten dieser steilen Mauern steigen diese Vorsprünge terrassenweise in gewissen Entfernungen über einander, und gewähren den sonderbarsten Anblick. Von einigen blicken Wohnungen, von Wiesen, Weinreben und Obstbäumen umkränzt, wie grünende Inseln im todten Steinmeer wunderbar auf den See herab; das Auge entdeckt nichts von den Pfaden, auf denen die Bewohner und ihr Vieh durch die schreckliche Felsenwüste zu ihrer einfachen Heimath hinaufklimmen. Andere Häuschen ganz tief unten scheinen zwischen dem See und dem Felsenfusse zu schweben. Wenn man ihnen näher kommt, so sieht man, dass sie auf fruchtbaren Hügeln stehen, welche aus verwitterten herabgerollten Gestein entstanden sind. Hier im Schoosse der hehren Natur giebt es so manches romantische und mahlerische Plätzchen, so manche von der ganzen übrigen Menschenwelt abgesonderte Wohnung, welche für edle und grosse Seelen in gewissen Stimmungen über alles anziehend seyn würden. …

Bis Müllihorn führt von Wallenstadt eine Strasse für Fussgänger und Reiter; von hier können die Reisenden entweder auf dem See nach Wesen fahren, oder über das Gebirge Kerenz herab nach Mollis in das Thal von Glarus gehen. …

Die Schiffleute aus Wallenstadt wollten mich wegen des entstandenen starken Westwindes nicht weiter führen; ich war herzlich froh; diese mürrisch und kränklich aussehenden Wallenstädter gegen zwei grosse gesunde und kraftvolle Glarner Jünglinge zu vertauschen, aus denen Freundlichkeit und beherzter Sinn sprach. Das Kerenzer Gebirge erhebt sich gleich neben Müllihorn sehr jäh, wird immer fürchterlicher, und geht in eine grässlich wilde nackte Felsenwand über, an deren Fuss sich die Wellen des Sees dumpf und grausend zerschlagen. Dieses Stück ist das gefährlichste des ganzen Sees, weil man hier auf keiner Seite landen kann, denn gegenüber nördlich blicken der Quinten-, Seren- und Ammonberg eben so zurückscheuchend den Schiffenden an. Der Westwind blies uns heftig entgegen, die schwarzgrünen Wogen wälzten immer schäumender heran; allein der muskulöse Arm meiner Glarner trieb den Nachen mit beruhigender Sicherheit gegen die Mitte des Sees. … Der Wind legte sich, die Wolken stiegen über die Felsen empor, und das entzückendste Gemählde entfaltete sich vor meinen Augen. Wer wäre im Stande den Volleindruck dieser ausserordentlichen Natur von Serenberg bis zu Oberspiz wiederzugeben? Diese Natur, wo jeder einzelne Theil unerschöpflichen Reichthum des Mahlerischen besitzt? Ueber die grauen Wände des Seren fällt der Serenbach von der obersten Höhe silbern in verschiedenen Sätzen in eine Bucht, an deren oberen Rande unter einem dicken Kranz von Gesträuch aus nackten Felsen der volle Baierbach herauswühlt. Weiter hin erheben sich aus dem See gelbröthliche Mauern, welche der Ammonbach in schönen Fällen bewäscht, und an deren Höhe die Reste des Schlosses Strahlek hängen. Auf diesem stolzen Felsenfuss steigt der grüne mit Wohnungen übersäete Ammonberg in zurückweichender Fernenhöhe empor. Umgeben auf allen Seiten von nackten und schroffen Felsen sonnet sich dieser fruchtbare und von Menschen bewohnte Berg in der stolzen Nachbarschaft der Wolken und gewährt den Schiffenden ein reizendes Bild. Mehr nordwärts strebt der hohe Bätliser empor, welcher mit dem bewaldeten Oberspiz den See von dieser Seite einschliesst; zu ihren Füssen dicht am Ufer schwimmen die Dörfchen Bätlis, Fley und der Flecken Wesen mit seinen Kirchen und zerstreuten Häusern. …

Ich konnte nicht widerstehen, die prächtigen Wasserfälle in der Nähe zu bewundern, und sie verdienen allerdings den kleinen Umweg. Ein schmaler Schlund führt vom See in eine runde Felsenbucht. Man klimmt über herabgefallene bemooste Felsbrocken, und erblickt alsdann den hohen Fall des Serenbachs, welcher von einigen 1600 Fuss, von andern 1200 Fuss geschätzt wird. Seine Wassermasse ist nicht stark, und in heissen Sommern hört sie auf zu fliessen. In der Höhe von einigen hundert Fuss stürzt der volle Baierbach aus Felsspalten von Bäumen, Gebüsch und Epheu bekleidet mit heftiger Gewalt und tobendem Rauschen hervor. Dieser prächtige und mahlerische Wasserfall wird, ich weiss nicht warum, von den Reisenden der Schweiz wenig besucht. Der enge Schlund, durch welchen die Wässer des Baier- und Serenbachs ihren Ausfluss nehmen, gewährt eine originelle Durchsicht über einen schmalen Streif des Sees gerade nach dem Dorf Müllihorn. So wie man aus dieser dunklen eingeschlossnen Kluft heraustritt, erscheint die grosse Landschaft im doppelten Glanz, und die Fahrt von hier bis Wesen ist eine Reihe von Gemählden in dem erhabensten Style der Gebirgsnatur. …

Der ganze Felsenzug von Sargans bis an den Ammon ist schroff und nackt; auf seiner Nordseite hingegen trägt er auf breiten Rücken die zahlreichen Alpen und Weidgänge des Toggenburgers. Alle Felsen am See von dem Ochsenkamm bis an den Seren stehen wie mitten in ihren Körpermassen durchrissen, und zeigen daher ihre Schichtung dem beobachtenden Auge sehr deutlich. Die Kalklagen sind sehr mächtig, beobachten aber nicht eine allgemeine Ordnung, sondern vielmehr die entgegengesetztesten Richtungen. Ich bemerkte z. B. einige Felsen, deren horizontale Schichten in grossen Bogen auf der einen Seite nach Süden, auf der andern nach Norden senken. Ueberall nimmt man an dieser Felsenreihe, wie an den meisten nach Mittag gewandten Gebirgen, die deutlichsten Spuren immer fortschreitender Verwitterung wahr. Schnee und Regenwasser, Eis, Hitze und Frost wirken hier allgewaltiger und in schnellern Abwechslungen als an deren Nordseite. Jene Kräfte nagen unaufhörlich an diesen ungeheuern unzerstörbar scheinenden Massen. Ihre Hörner und höchsten Grate zerklüften, spalten und splittern; Wind und Regen führen alsdann die abgelösten Felsenstückchen über die hohen Wände herab. Da wo von mehrern Seiten die stärksten Wassergüsse zusammentreffen und also auf einen Punkt die meisten Steinsplitter zusammenführen, häufen sich hohe Pyramiden an, deren breitste Seite an den Felsenfuss gelehnt liegt. Diese Schuttkegel von dem Schweizer Ryffenen, Rysenen genannt, zeigen sich an allen nach Süden gekehrten Gebirgen von Wallenstadt an bis Sargans, und jenseits des Rheins von Meynfeld hinunter nach Chur. Ueberall steigen sie an den Felswänden zu einer beträchtlichen, und zwar, was merkwürdig ist, zur nämlichen Höhe hinan, ausgenommen an dem Wallensee. Die herabgeführten verwitterten Kalksteintrümmer stürzten hier in den tiefen Kessel des Sees, und bildeten, aber freilich viel langsamer als auf dem festen und von wüthenden Wellen nicht beunruhigten Thalboden, ganz ähnliche Schuttkegel, deren Spitzen hin und wieder erst einige Klafter über die Seefläche hervorragen. Im hohen Sommer verlieren die Felsen um den Wallensee ihren Schneemantel, und erscheinen grau bis zu ihren höchsten Scheiteln, doch dauert diess nur einige Wochen.

Der Wallensee gehört zu den tiefsten Seen der ganzen Schweiz. Sein Wasser ist hell und schön. Eine Menge Bäche, unter denen die Seez aus dem Weisstannenthal der stärkste ist, führen ihm alle Gewässer aus einem Bergdistrikt höchstens von 12 Stunden Länge und 4 bis 5 Stunden Breite zu. Der ganze Zufluss, den derselbe erhält, ist im Vergleich mit andern Seen sehr gering; sein Aufschwellen und Ueberschwemmen liegt daher nicht in der übermässigen Wassermenge, welche ihm zugeführt wird, sondern in den entfernten Ursachen, die seinen leichten und schnellen Abfluss am westlichen Ende verhindern. …

Wesen ist der Landungsort am westlichen Ende des Wallensees, und der Hafen des Kanton Glaris, wo ihm Getreide, Wein und Baumwolle ausgeschifft wird. Hinter dem Flecken erhebt sich der fruchtbare hohe Oberspitz, auf dessen Fuss einige Landhäuser zwischen Obstbäumen und Weinreben stehen. Die Ansichten von diesen Standpunkten sind herrlich. Ehemals war Wesen ein wohlhabendes Städtchen. Wegen des Meuchelmords, welchen dessen Einwohner im Jahr 1387 an der helvetischen Besatzung begingen, wurde es verbrannt, und seitdem hat sich dieser Ort nie wieder erholt. Jetzt ist es ein betrübter Flecken voll armer und kranker Einwohner. Alle Jahre wird der ganze Ort wenigstens einmal, öfters zweimal überschwemmt, und bisweilen dergestalt, dass man aus den Kähnen in den ersten Stock der Häuser einsteigt. Morast und Schlamm füllt hier, so wie zu Wallenstadt, die Strassen, und lange nach der Zurücktretung des Sees muss man überall auf Brettern neben den Häusern hingehen.
(Quelle „Schilderung des Gebirgsvolkes“, 1802, Johann Gottfried Ebel)

Der Untergang des Delphin im Walensee

… Der letztere, auch Bättliser genannt, von dem Ort, an welchem er in den See braust und unter diesem Namen in der Volkssage als böser Geist personifiziert, ist der gefürchtetste von allen Winden und scheint auch das grösste Unglück, von dem die Geschichte des Walensees meldet, den Untergang des Dampfschiffes Delphin in der Nacht vom 16. bis 17. Dezember 1850 veranlasst zu haben.

Ein alter Schiffmann, der mir über dieses Unglück berichtete, nannte aber diesen Wind den Wind vom «Blättli» und zeigte auf diesen Punkt im Gebirge an der andern Seite von Amden, nach Weesen zu. Wäre die alte Schifffahrtsordnung noch in Uebung gewesen, nach welcher die Nachtfahrten auf diesem See gänzlich verboten waren und kein Schiff, das älter war als drei Jahre, in den See tauchen durfte, so hätte sich dieser traurige Fall nicht ereignet.

Der kleine Delphin, in seiner ersten Konstruktion als Schraubendampfer ganz unbrauchbar, erschien nach einer totalen Umformung seetüchtig und befuhr drei Jahre lange den Zürichsee; da wurde er im Sommer 1850 auf den Walensee versetzt, zum Behuf einer Influenz mit dem italienischen Nachtpostkurse, und versah nun den Nachtdienst, während der grössere «Splügen» am Tage fuhr.
In jener Nacht hatte das Schiff die Fahrt von Weesen nach Walenstad glücklich gemacht und um 12 ¼ Uhr, als es die Rückfahrt antrat, ging, nach amtlichen Berichten, nur ein gewöhnlicher Wind, der aber in einer Stunde, als das Schiff sich seinem Ziele Weesen näherte, zu einem Orkan angewachsen war. Man bemerkte von Weesen aus die Lichter des Delphins zur gewöhnlichen Zeit und ein Bewohner des hochgelegenen Dorfes Amden will wahrgenommen haben, dass das Schiff länger als eine Viertelstunde am nördlichen Ufer, nicht weit von Bättlis, sich an derselben Stelle über dem Wasser gehalten habe.
Das Weitere lässt sich nur vermuthen. Wahrscheinlich ist der Bättliser gekommen und hat das schon untüchtig gewordene Schiff von oben ins Wasser gestossen und bis zum Glarnerufer hin, wo es später beim Sallerntobel im Grundschlamm aufgefunden wurde, fortgeschleift.
Die Kajütenthür und einige Schiffsgegenstände schwammen bei Mühlehorn und Murg ans Land, von den Leichen der vierzehn Verunglückten ist nur eine sichtbar geworden. Dem Führer des Schiffes, Steuermann Staub, konnte Niemand eine Schuld an dem Unglück beimessen; er galt als ein tüchtiger Seemann, der vordem den Locarner- und den Bodensee befahren und, wie man erzählte, einmal durch seine Geistesgegenwart und Gewandtheit ein Dampfschiff mit zahlreichen Passagieren in einem Sturm gerettet hatte.
Die Theilnahme an dem Schicksal der Verunglückten war natürlich weit und breit sehr gross und zeigte sich werkthätig in den Unterstützungen, welche den Familien zuflossen, die Väter und Söhne in der Schiffsmannschaft verloren hatten.

Einen solche Katastrophe bringt auch einen guten Zug in der Menschennatur darin zum Vorschein, dass die trefflichen Eigenschaften der Todten aufgefunden und nachgerühmt werden. Von dem noch jungen Heizer des Dampfers erzählte man, dass er schon eine Stütze seiner sehr armen Familie gewesen sei und jeden Schilling, den er ersparen konnte, seiner Mutter geschickt habe, damit das immer kranke Schwesterchen, das er besonders liebte, gepflegt werden könne; dass er zwei Tage vor seinem Ende der Mutter schrieb, wenn «nichts Besonderes» eintreffe, werde er am Altjahr-Abend heimkommen, um den Jahreswechsel einmal wieder im Kreise seiner Familie zu verleben und das Schwesterchen werde er durch ein «Gutjahr» (Neujahrsgeschenk) gesund machen.

Unter den verunglückten Passagieren war ein junger Italiener, Enrio Mondelli, dessen Lebenspfad bisher die Sonne des Glücks beschienen hatte und der mit den schönsten Hoffnungen in die Zukunft sehen konnte. Sein Vater, einer der ersten Seidenspinner Italiens, hatte dem einzigen Sohne in mehreren Lehranstalten, zuletzt in der züricher Industrieschule, eine ganz deutsche Erziehung gegeben und der junge Mann sollte jetzt, nachdem er kurze Zeit in Como zum Besuch gewesen war, in Zürich in ein Seidengeschäft treten, umm sich für den Beruf des Vaters auszubilden. In Chur hatte er noch geschwankt, ob er nicht von Sargans den Weg über St. Gallen nehmen sollte, aber er entschied sich für den kürzeren Weg, der ihn nun zum raschen Tode führte.

In derselben Mitternacht verschlang das kalte Wellengrab die zwei gleichalterlichen Jünglinge, deren Lebenslage so verschieden gewesen war, den armen Heizer und den reichen Kaufmannssohn. Schubert, der tiefe Kenner des Seelenlebens, erzählt irgendwo von einem jungen Midshipman, der in einem Schiffbruch dem Ertrinken nahe gewesen war, aber wieder ins Leben zurückgebracht wurde. In der Minute, bevor er die Besinnung verlor, war wie in einem Traumbilde sein ganzes Leben an ihm vorübergezogen, von dem Lächeln und Abendgebet der Mutter an seinem Bettchen, den Kinderspielen mit den Geschwistern bis zu den Segenswünschen der Eltern, unter denen er von der Heimat schied.
Ich habe oft und immer wieder über diese Erzählung nachgedacht und sie in Verbindung gesetzt mit einer Wahrnehmung an mir selbst. Wenn man in das mittlere Lebensalter gekommen ist, so heften sich die Träume seltener an die nächste Vergangenheit, sondern gehen mit den fortschreitenden Jahren rückwärts in die Kinder- und Schulzeit, ,führen längst gestorbene Genossen auf und reproduziren Scenen, deren man sich im wachen Leben gar nicht mehr erinnerte. Vielleicht erblickt man in der Todesstunde wieder die liebelächelnde Mutter an der Wiege und empfängt den Muttergruss für das Leben über den Sternen.
Möge die letzte Minute der Schreckensstunde den in die Tiefe des Walensees Verschwindenden dieses Segensbild gebracht haben. …

(Quelle: Wanderstudien aus der Schweiz von Eduard Osenbrüggen. Erster Band 1867)

Die Gacht: Wegbau und Anstiegsvariante

Wegbau bei der Gacht

Im «Fremdenblatt für die Ostschweiz» lesen wir: Auf Anregung der Sektion Piz Sol, welche letztes Jahr aus eigenen Mitteln den Weg durch die Gacht (1959m) zum zweiten Mal erstellen liess, hat der Gemeinderat von Wallenstadt einen Beitrag von Fr. 200 zur Verbesserung der Churfirstenpässe beschlossen, und zwar Fr. 150 an den Weg von Lösis auf die Niedere (1833m) und Fr. 50 an den Weg durch das Falzloch zum Hinterruck und zum Käserruck. Es ist zu erwarten, dass die andern interessierten Gemeinden, Korporationen, Verkehrsvereine u.s.w. durch entsprechende Leistungen die Erstellung eines ordentlichen Fusswegs ermöglichen, als Verbindung der sonst durch ein unwegsames Felsengebirge von durchschnittlich 2000m Höhe auf eine Strecke von über 20 Kilometern getrennten Landschaften Toggenburg und Werdenberg einerseits und Sargans anderseits.
(Quelle: Alpina 1900)

Anstiegsvariante zur Gacht am Leistkamm

Anregende Kletterei liebende Clubisten, die der herrlichen Aussichtswarte des Leistkamms von Süden aus einen Besuch abzustatten gedenken, seien auf folgenden direkten Anstieg zur Gacht aufmerksam gemacht:

Von den 2 ½ Stunden ob Quinten gelegenen Alphütten «Laubegg», deren stets reichliches Heulager als ordentliches Nachtquartier und Ausgangspunkt in Betracht fallen, verfolgt man vorerst den in östlicher Richtung über «Stäfeli» zur Alpterrasse, P. 1554 ansteigenden Weg, der sich nunmehr wenig an Höhe einbüssend, zur buchtartig eingefressenen Mulde des Aubaches hinüberzieht. Hier, direkt südlich unter der Ausmündung des Gachtsteilhanges leitet die Fortsetzung des im obern Teil meist trockenen (im T. A. deutlich eingezeichneten) Bettes in Form einer kaminartigen Rinne zu den 300 m höher liegenden Bändern unter den Wänden des Vorderleist, die mit ihrem soliden Gestein die Aufstiegsvariante darstellt. Eine nicht unschwierige Felspartie zur Linken vermittelt den Einstieg in das bezeichnete Kamin, das mit seinen gestuften Absätzen in prächtiger, mittelschwerer Kletterei begangen wird. Ein hoher, eingeklemmter und glattgescheuerter Block, dessen Ueberwindung auch den Kraxlern, die mit langen Extremitäten ausgestattet sind, als klettertechnischer Leckerbissen zu schaffen gibt, und einige flotte Ausweichstellen bald links, bald rechts der Rinne sorgen für hübsche Abwechslung. Das Kamin verliert bei der Ausmündung auf die obgenannten charakteristischen Rasenbänder sein auffallendes Gepräge. Mit einer kurzen Horizontaltraverse nach rechts erreicht man die markierten Pfadspuren des eigentlichen Gachtsteiges direkt bei der Ausmündung, und vollzieht den weitern Aufstieg auf dieser altbekannten, wegen ihrer wilderhabenen Naturschönheit aber stets aufs Neue anregenden Route. In Verbindung mit der Ueberschreitung der drei Leistkammgipfel, deren «Mittlerer» scheint’s immer noch nicht «Modeberg» geworden ist, lässt sich die geschilderte Anstiegsvariante als eine technisch wie landschaftlich äusserst lohnende Voralpenexkursion qualifizieren, die dank günstiger Bahnverbindungen gegenüber gleichartigen Bergen ausserdem den grossen Vorzug hat, dem Bergsteiger auch in beschränkter Zeit die Abwicklung eines hübschen Programms ohne Hast zu ermöglichen.
(Quelle: Alpina 1912)