Bergtouren Spitzmeilen

Sarganserland. Flums-Grossberg. Letzten Samstag löste sich auf der Alp „Wiese“ ein grosser Stein von einem Felskopf ab, und rollte in gewaltigen Sprüngen einer Alphütte zu, wo 80 Sentenkühe im Hofe zum Melken bereit stunden. Zum Glücke traf der Stein weder Menschen noch Vieh, sondern schlug Dach und Wand der Hinterhütte ein und nahm sich ein frisches Bad in der Milch und liess sich der Anken von einer ganzen Woche trefflich schmecken. Der Schaden an Milch und Anken ist beträchtlich.
(Quelle: Alpenpost 1873)

Spitzmeilen, Weissmeilen, Magerrain.
Freie Fahrt von Heinrich Spoerry und Johann Baptist Stoop, 9. Juni 1895.
Wenn man mit der Eisenbahn von Zürich nach Sargans fährt, fällt einem auf der Station Flums, besonders etwas unter und ob derselben die originelle Berggruppe im Hintergrund des Schilzthals, Spitzmeilen, Weissmeilen und Magerrain auf. Noch schöner scheinen dieselben auf der Staatsstrasse von Wallenstadt nach Sargans. Die Nordseite dieser Berge wird nie schneelos. Höhen: Spitzmeilen 2507, Weissmeilen 2485, Magerrain 2528. Östlich vom Spitzmeilen und westlich vom Weissmeilen führen Pässe aus dem St. Galler Oberland ins Glarnerland. Diese Pässe 2214 und 2422, werden etwa zu Viehtransporten benutzt, würden sich aber auch für Kavallerie und Gebirgsartillerie eignen. Westlich vom Magerrain geht ein Kletterpfad durch das Galanzthürli auf die Alpen Erdis und Mühlebach.
Wir stiegen über Wardaböll und den Schöneckgrat zwischen Mad und Vans auf den Spitzmeilen, dessen Felsenkopf von der Ostseite unschwer zu erklettern ist. Der Spitzmeilen ist ein ausserordentlich verwitterter Kalkfelsen, freistehend auf einem schönen Schuttkegel und besteht aus zwei Gipfeln, von denen der südliche bestiegen wird. Der nördliche Gipfel, vielleicht noch nie bestiegen, erfordert wegen dem losen Gestein grosse Vorsicht; wir schmückten ihn mit einer Fahne.
Ich habe den Spitzmeilen das erste Mal vor etwa 15 Jahren von der Südseite bestiegen. Bis an wenige Meter geht es gut, aber zu oberst ist das Gestein ganz beweglich. Ich zog Kittel, Schuhe und Strümpfe aus und erstürmte mit Todesverachtung den Gipfel, zog aber vor, auf der Ostseite abzusteigen. Dann musste ich barfuss um den aus scharfkantigem Geröll bestehenden Schuttkegel herum und noch einmal auf der Südseite hinaufklettern, um meine zurückgelassenen Effekten zu holen. Angenehm war es nicht. Seither habe ich stets die Ostseite zum Auf- und Abstieg gewählt.
Sonntag, 9. Juni 1895, änderte das Wetter auf Mittag rasch. Schneeriesel prasselten nieder, und dann fing es an zu regnen. Wir gingen über den Grat zum Weissmeilen hinüber. Merkwürdiger Wechsel von Gesteinsarten in allen Farben und Härten, grau, weiss, rostrot, purpurrot, blau, schwarz, grün, Kalksteine, kohlensaure und schwefelsaure, Granit oder Gneisblöcke, auf dem Gipfel des Weissmeilen mächtige Lagen von Gips (Alabaster?), die ganz das Aussehen von altem Schnee haben und von den meisten als solcher angesehen werden; ferner Gesteine, ähnlich Kraterschlacken, Bimssteinen, Tuffsteinen, Schwefelbildungen, weiterhin Rot- und Blauschiefer; eine wunderbare Anhäufung von Gesteins-Arten und –Lagen. Ob der Weissmeilen mit seinen Schwefelmineralien nicht vulkanischer Natur ist? Die Form lehnt die Vermutung nicht ab. Würde vielleicht Herr Professor Albert Heim die Güte haben, mit der Sektion Piz Sol eine Tour auf den Weissmeilen zu machen und uns über diese Formationen zu belehren? Das wäre eine lohnende Tour.
Wir gingen über die Passlücke 2422, die wir letzten Winter auf Ski zu überschreiten gedachten, und versprachen uns, das Vorhaben nächsten Winter auszuführen, und stiegen über den Grat westwärts bis 2462. Durch das Mühlebachthal kroch ein schwarzes Wetter herauf. Schwere Wolken strichen über den Grat. Wir rutschen in sausender Fahrt den steilen Schneehang auf die Alp Fursch hinab, unser Specialvergnügen. An diesem Schneehang zeigen sich horizontal laufende Schründe, Chlägg, wie bei einem Gletscher. Die Alp Fursch war früher offenbar von einem Gletscher bedeckt; die zahlreichen, sehr deutlichen Moränen, auch auf der Karte, „Abendweid“, eingezeichnet, beweisen es auf das überzeugendste. Ob der Schneehang am Weissmeilen ein Rest davon ist, oder der Anfang zu einem neuwerdenden Gletscher?
Die Alp Fursch, eine Welt für sich, von vielen Quellbächen durchflossen, die vereinigt den schönen Wasserfall des Furschbach bilden, weist einen Pflanzenreichtum auf, wie vielleicht keine zweite Alp der Schweiz. Die mächtigen Urwälder von Tannen und Arven an der First, auf der Abendweid und unter den Saxern sind zwar verschwunden, dem Klima oder Unverstand zum Opfer gefallen. Modernde Holzreste sind ihre letzten Spuren. Jetzt müssen die Zusennen das Holz stundenweit herauftragen. Die Mitglieder der Sektion Piz Sol des S.A.C. in Flums haben vor, nächsten Herbst unter den Saxern eine Arvenpflanzung anzulegen.
Wer den Blumenreichtum in Fursch in der ganzen Fülle, Pracht und Mannigfaltigkeit sehen will, komme in der ersten Hälfte Juni und bewundere die Blütenhügel von Azaleen, Silenen, Steinbrechen, die Gärten von blauen, weissen, roten und gelben Gentianen, leuchtenden Primeln, goldenen Sieversien, schöngeformten und zartgefärbten Anemonen, zierlichen Soldanellen, dunkelvioletten, gelben und weissen Veilchen, bescheidenen Crocus, betäubend duftenden Seidelbasten…, wer kennt und nennt sie alle, Floras liebe Kinder, die hier versammelt sind auf hoher Alp. Später kommen noch Männertreu, zwei Arten Alpenrosen und Edelweiss – am Saxmor – dazu.
Über Namen, Schreibarten u. a. In der Ortssprache wird Spitzmeile, dagegen Wissmil gesprochen; eigentümliche Inkonsequenz. – Verschieden ist die Schreibart von Magerrain. Eschmann schreibt Magereu, Dufour Mageren, Siegfried Nr. 264 Magereu, Nr. 266 Mageren. Der Name scheint wie Spitzmeilen und Weissmeilen deutsch zu sein mit dem Sinn: „Der magere Rain“. Dann muss er geschieben werden: Schriftdeutsch Magerrain, Flumserdütsch Magerrai, Quartnerdütsch Magerräu. Die Schreibweise aller Karten wäre also unrichtig. Saxmor, auf den Karten fälschlich Sexmor, Analogie Sass Maor in den Dolomiten, verdeutscht „schwarzer Fels“, sehr zutreffender Name. Nach unserm Dialekt wäre die dem Laut nächstkommende Schreibart Sachsmor, was sich bei schriftdeutscher Aussprache mit Saxmor deckt. Ebenso Saxer (Sachser) auf den Karten fälschlich Sexer. Im grossen Saxer geht eine Kluft tief in den Berg hinein. Sage von einem verborgenen Schatz, den ein Ungeheuer hüte. Ein Älpler sei bis zu einer Thüre vorgedrungen und habe geklopft. Da rief eine Stimme: „Der Schlüssel liegt ob der Thür“. Dem Mann sei das Courage vergangen, und halb tot vor Schrecken sei er wieder ans Tageslicht gelangt. Wir werden diesen Sommer, wenn der Schlüssel noch ob der Thür liegt, davon Gebrauch machen.
Werdenbühl hiess früher Blatt Nr. 266 des topographischen Atlas. Wir haben es umgetauft in Spitzmeilen. Werdenbühl ist auch so eine verschriftdeutschende Fälschung von Wardaböll, einer Alp im Schilzthal. Ähnlich hat man Valtüsch ein Valteusch, aus Balzu ein Balzaun, aus Casella ein Gasellen, aus Pradella ein Bardellen, aus Capatscha ein Gapösche oder gar „in Gebüschen“, aus Craplong, denn so spricht man heute wie vor 1000 Jahren, und zwar Crap mit dem breiten Bündner a, das sonst nur bis Ragaz reicht, ein Grepplang, aus „der Seez“ (masc.) ein „die Seez“ (fem.) u.s.w. fabriziert und in Cirkulation gebracht. Gut, dass der gesunde Sinn des Volkes jahrzehntelang solchen Unsinn nicht annimmt, wenn er auch in allen Büchern und Karten steht. Es ist höchste Zeit, dass man gegen diese Namenverderber einmal anfängt zu wüten, gegen diese Sprachfälscher, die in ihrer Blasiertheit von der Geschichte unseres Landes keine Ahnung haben, noch weniger davon, dass wir an unserm urchigen Schwizerdütsch in seinen Nuancen von Landschaft zu Landschaft, ja von Dorf zu Dorf einen Schatz besitzen, den die Gelehrten immer mehr werten. Der gebildete Glarner, Zürcher und Basler schämt sich nicht, in Gesellschaft glarner- und züridütsch und baslerditsch zu reden, aber bei uns meint jeder Gemeindratsaspirant, seine Bildung, seine „Gwestheit“ zu zeigen, wenn er das „Buredütsch“ verachtet und in Vereins- und Gemeindeversammlungen einen widrigen Schwabenjargon spricht, nur nicht das Idiom seines Geburtsortes. Ihr eitlen Dummköpfe, gutes Gold gegen schlechten Messing zu vertauschen.
Das Schwizerdütsch zu pflegen und in seiner Reinheit und Mannigfaltigkeit zu wahren und seine Fälscher zu verachten, ist auch eine Aufgabe des Schweizer Alpen-Club, und zwar eine schöne, in § 1 der Centralstatuten enthalten. Das Schwizerdütsch, die Volkssprache, die Ursprache, das Altdeutsch ist eine Eigentümlichkeit des Schweizer Hochgebirgslandes so gut als seine Berge und Gletscher, und formenreich wie die Alpenflora ist das Schwizerdütsch, jeder Dialekt eine Species, eine seltene Alpenblume, nur in einem Tal zu finden.
Wir kamen vom Spitzmeilen und Weissmeilen. Zu Fusch, in einer noch unbewohnten Alphütte, assen, tranken und plauderten wir, feuerten und trockneten uns. Ein Donnerwetter zog über Berg und Thal.
(Quelle: Johann Baptist Stoop in: Alpina 1895, S. 109f.)

Sektionstour auf den Spitzmeilen (2505 m)
Samstag/Sonntag 10./11. September 1904. Mit der Verschiebung dieser Tour um acht Tage hatte man keinen guten Wurf getan.
Sieben Mann fanden sich für die Tour zusammen, alle voll Hoffnung, es werde sich das Wetter, das Samstags nicht sehr einladend war, auf Sonntag bessern, lauteten doch die Witterungsberichte günstig und stand auch der Barometer gut.
Die Hoffnung schwand auch dann noch nicht vollständig, als gegen das Glarnerland zu bereits der Regen an die Wagenfenster klatschte und der telegraphisch bestellte Führer am Bahnhof in Weesen nicht zu finden war. Man tröstete sich damit, er werde abends nachkommen.
Nachdem in Flums noch von dem bekannten ausgezeichneten Brod gefasst worden und der eine der Teilnehmer noch eine Lebkuchenscheibe im Rucksack versorgt hatte, gings über Portels auf nassem Wiesenpfade dem Schilztale zu. Der Regen hatte nachgelassen und beim Aufstieg nach der Bruggweite hatten wir sogar „lichte Augenblicke“. Die Spitzmeilenhütte kam später mehrmals aus dem Nebel, näher kommen wollte sie nur langsam.
Auf der Alp „Wiesen“ liessen wir uns eine Milch kochen und tranken davon nach Herzenslust. Eine ganze Anzahl Schweine wollte sich partout an unserem Mahle beteiligen, speziell einer unserer Kameraden hatte die grösste Mühe, die unappetitlichen Gäste an der Untersuchung seines Rucksackinhaltes zu verhindern. Nicht genug an dieser Plage, bekam dem Armen die Milch auch nicht am besten und musste er mehrmals eine von der unsrigen abweichende Route einschlagen. Ein neuer Regenschauer veranlasste uns in einem Gaden der untern Matossaalp ins duftende Heu zu kriechen und bessere Zeiten abzuwarten. Bereits fing es an zu dunkeln, als wir endlich in die Felspartie unter der Clubhütte kamen.
Die verschiedenen „Halte“ eingerechnet hatten wir von Flums bis zur Hütte nahezu 6 Stunden gebraucht.
Eine währschafte Erbssuppe weckte die etwas schlaffen Glieder und ein ausgezeichneter Punsch die Geister.
Als bis gegen 10 Uhr der erwartete Führer nicht erschien, begab man sich zur Ruhe. Die Tagwacht war auf 4 Uhr festgesetzt, Regen und Nebel liessen uns aber die Decken um diese Zeit wieder über die Ohren ziehen. Gegen 6 Uhr lichtete sich die Geschichte etwas und um 7 Uhr verliessen wir endlich die gastliche Hütte, nachdem uns und den Spitzmeilen noch Einer verewigt hatte, zwei Bilder auf einer Platte.
Über Matten, den Bach und eine Geröllhalde gings auf den Grat zu, von dem aus wir prächtige Ausblicke auf die Kurfirsten und Alvierkette, die Glarneralpen, voran Ruchi und Hausstock hatten, während in den Niederungen die Nebel wogten. Genau in einer Stunde standen wir am Fusse des Spitzmeilen und in 10 Minuten auf dem Gipfelgrat beim Steinmannli. Aussicht hatten wir leider da oben keine, wir stacken im dichten Nebel.
Die Kletterei vom Fuss des Spitzmeilenkegels bis zum Gipfel ist sehr interessant, erfordert aber, besonders bei einer grösseren Truppe, sauberes Gehen; gute Handgriffe finden sich überall.
Der Nebel und die Kühle machten sich etwas unangenehm fühlbar, wir hielten uns daher nicht lange auf dem Gipfel auf. Leider setzte auch der Regen wieder ein und verhinderte eine richtige Orientierung nach der Karte. Wir gerieten zu weit nach links und konnten einfach den ins Krauchtal führenden Schöneggpass nicht finden. Ein Luftzug zerriss für einige Zeit die Nebel und wir glaubten in weiter Ferne rechts den Pass erkannt zu haben. Über Felsenabstürze, Sümpfe, Bäche kletterten wir dem vermeintlichen Schöneggpass zu und gerieten dann in die Rinderhörner gegen den Faulen zu, wo wir an Hand von Karte und Kompass feststellen konnten, dass das Tal zu unseren Füssen, das einen Augenblick sichtbar gewesen, nicht das Krauchtal sein konnte, sondern das Vansbachtal, das von der Alp Wiesen ins Schilztal mündet. Unsere Situation wurde damit nicht viel gemütlicher, umsoweniger, als wir einen unserer Kameraden, der auf Rekognoszierung in den Felsköpfen vorgeklettert war, nicht mehr finden konnten und trotz allem Rufen von ihm keine Antwort mehr kam. Mit Resignation schickten wir uns in unsere fatale Lage und lagerten, da es derweilen gegen Mittag rückte, für eine halbe Stunde in den Felsen, mit der Hoffnung, es möchte mittlerweilen doch ein gnädiger Windstoss einmal etwas die Nebelmassen zerreissen. Endlich fanden wir dann einen getretenen Pfad und, demselben folgend, vermochten wir in einem einen Moment aus dem Nebel tretenden Gebirgsstocke den Spitzmeilen zu erkennen. Nun konnten wir uns endlich orientieren und feststellen, dass wir auf der Willenbützfurkel standen. In nordwestlicher Richtung dem Pfad folgend, vermochten wir dann bald den Steinmann am Schöneggpass erkennen, dem nun zugesteuert wurde. In der Nähe stiessen wir dann auch wieder auf unsern verlorenen Kameraden, der fast nicht zu überzeugen war, dass wir nach ca. 3stündigem Umherirren nun doch den Abstieg ins Krauchtal gefunden.
Die Schöneggpasshöhe hatten wir nun allerdings gefunden, schwierig aber wars jetzt bei dem Nebel auch den richtigen Abstieg ins Tal zu finden, ist der Weg doch bei hellem Wetter selbst fast nicht zu sehen.
Durch und durch nass, kamen wir nach manch unliebsamer Rutschpartie schliesslich ins Krauchtal hinunter. Auf der Krauchtalalp liessen wir uns eine Milch munden und zogen dann tapfer fürbass, wartete in Matt unser doch der bestellte Wagen. Aber, oh weh! Alles Fragen in Matt half nichts, der Wagen war nicht da und so hatten wir keine andere Wahl, als die Landstrassenwanderung nach Schwanden zu Fuss zu machen.
Hier in Schwanden hatte man uns nicht erwartet. Unser im Bahnhof Enge aufgegebenes Telegramm war allerdings angelangt, aber zu spät. Da dann gleichzeitig das Wetter so umgeschlagen, glaubte man in Schwanden, wir seien trotz Telegramm nicht verreist. Damit hatten wir auch die Erklärung, warum uns weder Führer noch Wagen erwartet.
Das überwundene Missgeschick und die überstandenen Strapazen während dieser Nebelfahrt liessen uns den von Herrn Schönenberger zum Schwanderhof servierten ausgezeichneten Gemspfeffer nur um so besser schmecken.
(Quelle: Alpina 1904, S. 184f.)

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