Strassen und Strassenbau in den Bergen

1. Die Strasse von Ragaz zum Bad Pfäfers

… In diesem Schlunde, zwei Stunden aufwärts nach Süden, liegt das berühmte Pfeffersbad. Zwei Wege führen dahin, der längere über Valenz ist für Pferde gangbar, der kürzere nur bis zum Dorfe Pfeffers. Ich wählte den letztern, der bald hinter Ragaz äusserst steil hinansteigt. Die mühsame und schlechte Strasse wird von der herrlichen Landschafts-Ansicht vergolten, welche sich auf das breite Sarganser Thal und seine nördlichen Gebirge öffnet. Die Ruinen der ehemaligen Schlösser Freudenberg und Nydberg zeigen sich hier nahe unter dem Auge. In einer Stunde langt man auf der Höhe bei dem Kloster und Dörfchen Pfeffers an. Beide liegen an dem engen Ausgange des 5 Stunden langen Taminathales, welches von hohen und wilden Gebirgen ummauert ist. Dicht hinter dem Kloster wälzt die Tamina ihr tobendes Wasser in eine enge tiefe Schlucht. Die Bergabhänge, gut bebaut und mit Bäumen besetzt, steigen bis an den Rand dieses Abgrundes, und ohne ganz dicht hinan zu treten, bemerkt man nichts von dem Strom, dessen Schaum aus der Dunkelheit wie Blitze schiesst. Tiefe Gebirgsstille herrscht um die Abtei; dicht vor ihr über spielt ein lieblicher Wasserfall zwischen herrlichem Grün, wie ein heiteres schönes Mädchen, welches in frohsinniger Unschuld mit seinen Reizen gaukelt. Nach Südwesten fällt der Blick durchs Taminathal auf rauhe und hohe Gebirge, nach Osten über das Sarganser Thal, über die fruchtbaren Gegenden von Maienfeld, Jenins und Malans auf die nackten Felsenwände des Rhätikon, welcher sich von hier in seiner ganzen kühnen Wildheit darstellet. Der grösste pyramidenförmige Gipfel dieser Felsengruppe, Caesaplana, 1700 Klafter über dem Meer erhaben, trägt einen Stunden langen Gletscher, und schaut über alle benachbarten Gebirge auf Deutschlands Gefilde bis nach Ulm. Nicht weit davon am Ende eines Felsenkamms erhebt sich ein anderer Zingel (so nennen hier die Bergbewohner jedes hohen Felsenhorn), welcher den Grenzposten des Bündtner Landes macht, und etwas tiefer steht der Falknis, von dem die nackten Felsen bis an den Rhein bei Luziensteig abstufen. Ein alter Alpenbewohner, der meine Neugierde mit Vergnügen befriedigte, deutete mir rechts von der Caesaplana auf dem hohen Grat das Schweizer- und das Druchsesthor an, zwei Gebirgspässe aus Bündten ins Montafunthal, und ganz tief unterhalb den Felsenriss Klus, durch welche die wilde Landquart aus dem Brettigau heraus stürzt.
Mit besonderm innigen Vergnügen blickte ich zu meinen Füssen auf den jugendlichen Rhein herab, wie er hier, ganz im Charakter der Natur, die ihn erzeugte, wild, roh, ungestüm und trübe sein Geburtsland verlässt. Welche Hindernisse setzten sich seinem Laufe sogleich von allen Seiten entgegen, und welche Kämpfe musste er bestehen? Ueberall unübersteigliche Felsenmauern, aber seiner Riesenkraft war kein Widerstand zu gross. Mitten durch ungeheure Gebirge brach er sich nordwärts seine Bahn, und gelangte endlich nach unsäglicher Kraftübung in die freie Weite des Bodensees.
(Quelle: Ebel 1802 «Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz»)

2. Die Strasse von Pfäfers nach Vättis

St. Gallen. Für Strassenbauten im touristisch sehr berühmten Tamina- und Weisstannenthal und zwar für Pfäffers-Vadura-Vättis und Mels-Weisstannen hat der Grosse Rath des Kts. St. Gallen Fr. 66,500 budgetirt, jedoch werden einstweilen definitiv nur Fr. 10,000 in das Jahresbudget aufgenommen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

Vättis (Kalfeuserthal). Mit der neuen Strasse Ragaz-Vättis erwacht an letzterem Orte auch der Speculationsgeist. Hr. Joseph Sprecher wird daselbst auf nächste Saison ein kleineres Hotel eröffnen und dadurch einestheils den Touristen Gelegenheit geben, die wahrhaft grossartige Gebirgswelt im Hintergrunde jenes Hochthales (Graue Hörner, Sardona, Ringelspitze, Calanda etc.) in’s Excursionsgebiet zu ziehen, anderntheils den Wanderern über den Foo- und Kunkelspass einen wohlverdienten, willkommenen Haltpunkt und endlich den Badegästen von Ragaz-Pfäfers ein beliebtes Ausflugsziel zu bieten.
(Quelle: Die Alpenpost vom 5. December 1874)

Vättis im Kalfeuserthal als Touristen-Station (950 M.). Durch den neuen „Gasthof zur Tamina“ (Besitzer Herr Josef Sprecher) und die neue Strasse von Ragaz aus ist endlich dies Bergthal auch für den Fremdenverkehr geöffnet. Der Gasthof, ein solider Steinbau, enthält 9 Logirzimmer nebst Saal und Restaurationslokalen, sowie eine Gartenwirthschaft. Als Bergführer hat der thätige Wirth bereits zwei junge, kräftige Männer, die Weg und Steg in jenen Gebirgen genau kennen, die Gemsjäger David Kohler und Bonifaz Sprecher, gewonnen und es ist daher zu erwarten, dass Calanda, Ringelspitze, Monteluna, Drachenloch am Gelbberg, Piz Sol, Sardona etc. schon nächsten Sommer stark von unseren Clubisten frequentirt werden, um so mehr, als Vättis sich auch als Sommerfrischlerort hervorthun wird und von Ragaz aus bequem in 3 Stunden zu Wagen erreicht werden kann.
(Quelle: Die Alpenpost vom 26. December 1874)

Ein schwerer Unsinn
Was der Widerstreit verschiedener Interessen vermag, hat sich auch bei Anlage der Vättiserstrasse gezeigt. Dieselbe erreicht mit starker Steigung ihren höchsten Punkt mit 982 m im ersten Drittel beim Bläserkreuz; dann senkt sie sich fortwährend wieder zum Theil beträchtlich bis St. Peter mit 876 m, um von da an wieder langsam zu steigen bis Vättis mit 951 m. Dem Schieferbruch zu Vadura, oder vielmehr dessen Besitzer zu lieb musste die Strasse dort hinauf geführt werden, anstatt sie tiefer durch zu legen und ein Verbindungsstück mit dem Schieferbruche zu bauen. Alle die schweren Holzfuhrwerke von Vättis hinaus müssen nach der Höhe von Vadura hinaufkeuchen – ein schwerer Unsinn, der nur dort vorkommen kann, wo Sonderinteressen vor die Gemeininteressen gestellt werden.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 34)

3. Die Strasse ins Weisstannental

Das durch manchfaltige Naturschönheiten und grosse Alpweiden sich auszeichnende Weisstannenthal (Sarganserland) soll durch eine Strasse mit dem Dorfe Mels verbunden werden. Da schon der Weg durch die imposante Schlucht der Seez bis zum Pfarrdorfe Weisstannen (4000’) reizende Partien zur Genüge bietet und die grossartige Bergwelt im Hintergrunde des Thales bald viele Touristen anziehen dürfte, aber auch für die vielen Viehtransporte von und nach den ausgedehnten Alpweiden schon längst das Bedürfnis eines bessern Weges sich geltend machte, so ist dies Projekt gewiss ein sehr zeitgemässes. Nach einem Plane des Ingenieur Jud sollen sich die Baukosten auf Fr. 140-160’000 belaufen, wovon die Gemeinde Weisstannen ¼ tragen will. Soviel würde wohl einzig der Mehrwerth der ausgedehnten Waldungen abwerfen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

St. Gallen. Für Strassenbauten im touristisch sehr berühmten Tamina- und Weisstannenthal und zwar für Pfäffers-Vadura-Vättis und Mels-Weisstannen hat der Grosse Rath des Kts. St. Gallen Fr. 66,500 budgetirt, jedoch werden einstweilen definitiv nur Fr. 10,000 in das Jahresbudget aufgenommen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

Am 31. v. M. fand die Collaudation der 2 ½ Stunden langen Bergstrasse von Mels nach Weisstannen statt, die dies herrliche Alpenthal dem Fremdenverkehr erschliesst. Das Gebiet der „Grauen Hörner“ wird dadurch zu einem der besuchtesten Excursionsziele des St. Gallischen Oberlandes werden. Die Touristen finden im neuen Hotel Alpenhof in Weisstannen treffliche Unterkunft und Pflege.
(Quelle: Die Alpenpost vom 14. November 1874)

Auch in’s Weisstannenthal führt erst seit wenigen Jahren eine Strasse; Sonderinteressen und kurzsichtige Verbohrtheit waren auch da lange dagegen, und es mag erwähnt werden, dass dem damaligen Pfarrer von Weisstannen das Hauptverdienst am Zustandekommen der Strasse gebührt.
Aus ähnlichen Gründen konnte bisher die Strasse von Vättis über den Kunkelspass nach Tamins nicht ausgeführt werden, obschon sich dieselbe durch den Mehrwerth der Liegenschaften vollständig bezahlen liesse. Die Schuld liegt am geringen Willen der sonst sehr reichen Gemeinde Tamins.
Hier sollte übrigens die Eidgenossenschaft einschreiten.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 34)

4. Die Strasse ins Calfeisental

Von Vättis aus soll in nächster Zeit ein Fahrsträsschen ins Calfeisental gebaut werden.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)

Sektion St. Gallen. Der Anteil an die Kosten des Calfeusensträsschens, welcher der Sektion als Besitzerin der Sardonahütte auferlegt wurde, konnte dank der Opferfreudigkeit unserer Mitglieder durch freiwillige Beiträge gedeckt werden. Unser Appell hatte einen so schönen Erfolg, dass wir einen Überschuss von Fr. 1000 zur Bildung eines Hüttenfonds verwenden konnten, was der Sektion gestatten wird, in absehbarer Zeit an den Bau einer zweiten Clubhütte zu denken.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1906-07)

Von Vättis aus soll in nächster Zeit ein Fahrsträsschen ins Calfeisental gebaut werden.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)

Das neue Calfeisensträsschen, das diesen Sommer bis St. Martin vollendet wird, soll bis nächsten Sommer 1908 auch nach der Sardonaalp, bezw. 1 Stunde unterhalb der Sardonahütte fertig erstellt werden.
(Quelle: Alpina 1907, S. 127)

Aus dem Calfeisental.
Das von der jungen, wildschäumenden Tamina durchflossene steilwandige Calfeisental, das sich von der südlichsten St. Gallischen Ortschaft Vättis (950 m ü. M.), wo die romantische Poststrasse und der elektrische Draht von Ragaz ihr Ende nehmen, fünf Stunden weit bis zur stillen Sardonaalp (1750 m ü. M.) hinauf erstreckt, wird seit dem letzten Herbst von einem solid angelegten, überall sanft ansteigenden und das milchtrübe Bergwasser vier Mal überspringenden Fahrsträsschen durchzogen. Die Bauarbeiten wurden in zwei Etappen – Vättis-St. Martin im Sommer 1907 und St. Martin-Sardonaalp im letzten Jahre – ausgeführt.
Bei den letzten wetterschwarzen Hütten des vielbesuchten, einfachen Luftkurortes Vättis, wo sich die kristallhellen Wellen des vom Kunkels herkommenden Görbsbaches mit der grauen Flut der Tamina vereinigen, und ein moos- und lärchenbestandener Moränenhügel, der Büel, über dem in einem grünen Kessel weich gebetteten Bergdorfe treue Wacht hält, weist uns eine rote Tafel der Sektion St. Gallen des S.A.C. die Richtung nach Sardona. Auf dem rechten Taminaufer folgt die neue Strasse anfänglich in weitem Bogen der Spur des alten Pfades. Hier lassen wir den Blick hin und wieder zurückschweifen über das friedliche, von der trutzigen, kahlen Felsbastion des Calanda beherrschte Talgelände, mit seinen schwellenden Rasenpolstern, seinen zur Zeit der Schneeschmelze und der Hochgewitter von wilden Bergbächen angeschwemmten Geröllfeldern und dem schindelgedeckten, um ein altes Kirchlein mit niederem, rotem Helm kauernden Dörfchen. Das richtige Alpentalidyll! Bald aber verschwindet das freundliche Bild hinter den zu beiden Seiten der Strasse sich vorschiebenden Kulissen. Dort, wo unterm Bannwald der alte Pfad nach links abzweigt, nimmt uns die enge, von hohen, zerrissenen Felswänden gebildete Schlucht auf. Das Tosen und Brausen der in der Tiefe über gewaltige Felstrümmer dahinstürzenden Bergwasser klingt uns wie eine Ouvertüre zu der Reihe packender Naturbilder, die während der nächsten Stunden an unserem Auge vorüberziehen, aus der Tiefe entgegen. Immer enger und enger wird nun der Rahmen des freundlichen Alpentalidylls in unserm Rücken. Im Proszenium aber rückt Kuppe um Kuppe, Zacke um Zacke heran. Zur Rechten, hoch oben im blauen Aether sind es die zerrissenen Felsköpfe des nahen Drachenberges, die unser Auge besonders fesseln. Nach dem Ueberschreiten des Flusses nimmt uns die kühle Halle des Giegerwaldes auf und nun haben wir Musse, dem Wellenspiel der übermütigen Tamina zu lauschen. Bald mischt sich in der Ferne ein neues Motiv in die Sinfonie der rauschenden Wasser. Durch eine enge Klamm stürzt donnernd und brausend ein Wildbach hernieder, der in wenigen Kaskaden vom Satzmartinhorn niederspringt und auf Alp Tersol ein Dutzend Rinnsale entführt. Wie wir die „stäubende“ Brücke über dem brodelnden Hexenkessel passieren, lichtet sich das Laubdach und die sonnige Giegeralp, eine lichte Oase in kahler Felsenwelt, entzückt unser Auge. Hier dominieren die grauen, verwitterten „Kalkpfeiffen“ der Orgeln zu unserer Linken und im Vorblick grüssen uns bereits die schneeigen Zinken und Flühen der Ringelberggruppe. Bald tut ein „schwarzes, feuchtes Tor“ sich auf, um uns durch einen vorgeschobenen Querriegel hindurchzulassen. Aus dem Tunnelfenster bietet sich uns eines der fesselndsten Bilder des Tales dar: Tief unten in engem Bette die vom Schmelzwasser stark getrübte Tamina, darüber hinweg an steilem Hang kümmerlich gediehene Bergföhren auf morschem Gestein, zu beiden Seiten schroffe, hoch ansteigende Felswände und im Hintergrunde die langgestreckte Silhouette des hellbeleuchteten Calandamassives. Weiterhin füllen mächtige alte Schneerunsen das Felsental der Tamina aus. Die muntern Wasser haben sich weite, hohe Gewölbe durch die kompakte Masse gegraben und da und dort tragen die von der Natur geschlagenen Brücken unsern Fuss. Eine liebliche Wald- und Bergbachszenerie begleitet uns hernach bis St. Martin, einer Gruppe brauner, nur im Sommer bewohnter Alphütten, beherrscht von einem schlanken Felskegel, der „Teufelskanzel“, und beschirmt von einer alten, verträumten Kapelle, deren Inneres alte Skulpturen und Bilder, den heiligen Martin darstellend, bergen. Eine nahe Grube, in der noch Knochen des einstmal hier ansässig gewesenen gross gewachsenen Geschlechtes der Walser aufbewahrt werden, vermag unser Interesse nur in geringem Masse zu fesseln. Gelehrte und Forscher von Ruf haben hier im Laufe der Jahre ihre „Auswahl“ getroffen und nur ein kleiner Rest ist zurückgeblieben. Könnte ihm im Kirchlein selbst nicht eine würdigere Stätte angewiesen werden?
Zwei schöne Kehren der Strasse lassen uns rasch eine ordentliche Höhendifferenz überwinden. Ueber einen tiefgrünen Forst hinweg erblickt nun das Auge eine Reihe malerischer Kleinbilder in breitem, düsterem Rahmen. Drüben unter den gewaltigen Felsmauern des Ringelspitz und den Felslehnen des leuchtenden Glasergletschers reiht sich ein grüner, steiler Hang an den andern. Weisse Staubbäche flattern von blendenden Schneefeldern hernieder, um bald in der düsteren Schlucht der Tamina zu zerfliessen und im Vorblick treten bereits die obersten Spitzen der den weiten Kessel der Sardonaalp umschliessenden Bergriesen in den Gesichtskreis. In der Tiefe aber rauschen, unserem Blicke verborgen, die Schmelzwasser eine eintönige Melodie. In vielen Windungen und Biegungen, über muntere Rinnsale hinweg, steilen Hängen entlang, die kostspielige Stütz- und Schutzbauten erforderten, und durch herrliche Waldbestände rückt unser Weg seinem Ende näher. Da und dort wird in einer Waldlichtung der alte Pfad auf dem andern Ufer sichtbar, wie er sich ganz dem Terrain anschmiegend, steigt und fällt, bald in eine Klamm einbiegt, bald ein Schuttgebiet umgeht. Mit einem Male weitet sich das Tal. Der bis hieher ohne Unterbrechungen uns begleitende Bergwald löst sich in kleinere Bestände auf, zwischen denen sich wellige Triften, Ausläufer der grossen Malanseralp, ausbreiten. Wir sind in eine stille, weltabgeschiedene Alpenlandschaft, die Sardonaalp, vorgerückt. Ringsum liegen ausgedehnte, von starken Viehherden bestossene Weiden. Ein Dutzend feiner Wasserfäden vereinigen sich zuhinterst im Tale zur jungen Tamina. Von einem breiten Kegel blickt, weithin schauend, die freundliche Sardonaclubhütte der Sektion St. Gallen des S.A.C. zu uns herab; darüber hinweg schliessen einige Dreitausender – Trinserhorn mit Piz Dolf, Piz Segnes, Saurenstock und Scheibe – den Prospekt ab.
So haben wir nun vier Stunden lang ein stilles, romantisches Bergtal durchwandert, dem, trotzdem es jetzt durch einen neuen Fahrweg der Touristenwelt erschlossen ist, die Ruhe und Abgeschiedenheit eines Hochgebirgstales erhalten bleiben, da das schmale Strässchen keinen Durch- und Uebergang von einer Talschaft zur andern, sondern lediglich eine Zufahrt zu den einigen grossen St. Galler Oberländer Gemeinden zugeteilten Alpen bildet. Ein einziges Seitental – Tersol – zweigt von dem engen, steilwandigen Haupttal ab, in dessen untern und mittleren Teil die Kämme der beidseitigen grandiosen Felsenwände nur etwa fünf Kilometer von einander abstehen. Im obern Talgebiet geht dieser Abstand gar auf drei Kilometer zurück.
Wer sich die Mühe nimmt, die lokalen Flur-, Wald- und Alpennamen des Tales zu sammeln, der erhält eine interessante Blütenlese aus drei verschiedenen Ansiedelungsetappen.
So möge denn in der kommenden Wanderzeit das Calfeisental mit seinem reichgegliederten und von der letzten Talstation auf Sardonaalp rasch erreichbaren Sardonagebiet das Ziel manches Clubisten werden, der das romantische Tal der jungen Tamina, ob Vättis, von dem aus das Bündneroberland und das Glarnerkleintal bald erreicht sind, noch nicht kennt. Zwei gut getretene Pässe, der Heidelpass und Muttentalpass führen sodann hinüber ins Weisstannental und ins geologisch interessante Gebiet der Grauen Hörner. Es lässt sich mit dem Besuche des Calfeisentals manche lohnende Kombination verbinden.
(Quelle: F. W. Schwarz in: Alpina 1909, S. 103f.)

5. Die Strasse zum Kunkelspass

Eine fahrbare Strasse über den Kunkels
Wir wollen hoffen, dass in nicht allzu ferner Zeit eine fahrbare Strasse über den Kunkels gebaut werde. Mit leichten Fuhrwerken kann man zur Noth jetzt schon von Vättis nach Tamins gelangen, aber nicht wohl umgekehrt, wegen zu grosser Steigung im Engpass der Foppa.
Der Kunkelspass hat einen ähnlichen Charakter, wie der Maloja; vom Hauptthale aus führt der Weg sanft ansteigend nach der Passhöhe und fällt dann auf einmal stark nach der andern Seite; umgekehrt, ist man von Tamins aus steil angestiegen, so wandert man bequem und in gemächlicher Ruhe über ebene Wiesen nach Vättis hinaus. Bei den Quellen des Görbsbaches, wo der Landjäger-Zollwächter den Salzschmuggel bewacht, im übrigen aber mit seinem Hündchen ein beschauliches Dasein fristet, baut vielleicht ein speculativer Kopf einmal ein Kurhaus, genannt zum idyllischen Zöllner; der Platz dort ist wunderlieblich und Forellen muss es auch geben.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 36)

Auch wird das Projekt, eine Strasse von Reichenau über den Kunkelspass nach Vättis zu führen, lebhaft besprochen.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)

Auf dem neuen Strässchen des Kunkelspasses
Eine scharf gekerbte, dunkle Felsfurche samt einer höchst auffallenden, seitwärts ins Berggehänge greifenden, weiten Hohlkehle bezeichnet hinter Reichenau-Tamins die Grenze zwischen der Calandakette und der Ringelgruppe. Jene Scharte ist die „Foppa“, durch welche der alte und mühsame, steile und steinige Weg auf die Höhe des Kunkelspasses leitet, während die grosse Gebirgsnische unter dem mächtigen Rundwalle des Vogelsteins, Sessagit, Carschlinkopfes und Foppasteins die tiefen Gründe des „Schwarzwaldes“ von Tamins birgt. Es ist eine typische Bruchnische, deren ausgeräumte Bergsturzmassen heute die Kuppen und Hügel von Tamins und Reichenau, wie auch den ganzen bewaldeten Schuttriegel der Talebene zwischen dem Hinterrhein und vereinigten Rheinstrome zusammensetzen.
Durch den weiten Gebirgszirkus, aus dem die alten Schuttmassen herausbrachen, führt uns das neue Kunkelssträsschen am Gehänge zur freien Höhe empor. Es zweigt erst hoch über Tamins vom alten Weg ab, der uns hinter den Häusern des Dorfes anfänglich nur schwierig zu deutende Bodenaufschlüsse darweist. Sind es hier Blocktrümmer des grünen Verrucanogesteins oder ist es lebendiger Fels, der nach der Rheinseite abfällt? …
Hinter der Schuttbarriere von Tamins, nur nach dieser Seite geöffnet und hier starke, lebenskräftige Quellbäche entsendend, breitet sich der flache Talkessel des Girsch, dessen Boden aus Bergsturzschutt und Alluvionen gebildet ist und heute üppigstes Wiesland trägt. Er ist von Lärchen umsäumt und war einst ein See, der durch den augenscheinlich erst später vom Foppastein her erfolgten Sturz der Trümmer des Rascheuhügels abgedämmt wurde. Ueber dem Girsch folgen wir zwischen sonnigen Weiden, Gruppen und Streifen des Waldes noch dem alten, aber für den Strassenbau verbesserten Wege in den hintern Girschwald. Auch der Schwarzwaldweg, den wir am Fusse der hohen, von der Steilwand des Garschlinkopfes herabreichenden Felsschuttrüfen betreten, ist für die neue Alproute in Anspruch genommen, verbessert und wesentlich ausgestaltet worden. Auf jener breiten, unten mit eroberndem Grün durchwirkten Schuttwiese begann die Schwitzkur für den frühern Kunkelswanderer, der weiter oben in den Felsen noch andere Proben der Ausdauer zu bestehen hatte, während die Partie unter dem Passcheitel einen ordentlichen Kehrenweg aufwies. Wie schwer der Taminser Bauer und Arbeiter auf dieser Steilroute trug und schleppte und welche Qual das Alpvieh hier überstand, haben die Seufzer und Stösse des menschlichen Larynx, die Lungen und wunden Füsse der armen Quadrupeden allzulange illustrieren müssen. Dagegen führt das neue Alpensträsschen in mässiger, ausgeglichener Steigung (Maximum 14,8 Prozent) der Höhe entgegen. Es beginnt erst hinter der Schwarzwaldhütte in einer Meereshöhe von 1121 m und ist bei vortrefflicher Anlage in einer Breite von vollen 3 m erstellt. Die erste grosse Wegkehre erfolgt weit drinnen in der bewaldeten, mächtigen Gebirgsnische, wenig entfernt vom hohen Turme des Sessagit (2003 m) und seinem scharf gesonderten, an die 100 m aufragenden Obelisken. Sickerungen und kleine Quellen rinnen da und dort überm Gestein, das sich bei ca. 1570 m Höhe in grösserer Distanz als fester Fels des Malmkalkes mit wohl entwickelter Schichtung erweist; sein Material musste mittelst Aufzug für den Wegbau in den höher folgenden Geröllhalden unter grossem Kostenaufwand hinbefördert werden. …
Der neue Alpweg hat uns allmählich aus den dunkeln, schattigen Waldesgründen hoch ans Gehänge geführt und leitet bald darauf in die volle Romantik pittoresker Felspartien hinüber. Er überrascht hier oben durch kunstvolle Führung und prächtige Aussichten auf Gebirge und Tal. Erst quert er auf 220 m Länge eine steile Geröllhalde mit Steinschlagrinnen, aber gutem Felsuntergrund. Mächtige Mauern mit Oeffnungen zur Abwehr einer Häufung des Schuttgerölls in der Hinterfüllung schützen ihn und stattliche Geländer verleihen der Passage einen weitern Schirm. Bei 950 m Weglänge stehen wir hoch am Beginn der Tunnelgallerie in der Felswand südlich des Carschlinkopfes. Der Tunnel ist etwas über 200 m lang und in einer Steigung von 10 Prozent angelegt; aus seinen 6 hohen, aus einer 6 m kräftigen Felswand gebrochenen Fenstern hat man einen erst beschränkten, dann aber immer mehr sich weitenden Ausblick auf den hehren Gebirgsrahmen der Rheintäler, den Heinzenberg die Beverin- und Signinakette und Berge des Oberhalbsteins. Seltsame Verwitterungsformen des jäh abstürzenden Kalkgehänges, Felstürme und –Zacken von abenteuerlicher, grotesker Gestaltung ragen unter den Lucken der Felsenbrüstung und bieten beim Fortschreiten stets wechselnde Bilder. Das äusserst brüchige, stark verwitterte und zerklüftete Gestein gestattete hier nicht die Anlage einer blossen Gallerie, wie sie im Projekte vorgesehen war, und so ist diese Strecke eine sehr kostspielige Passage geworden. Nach dem obern Tunnelportal biegt das Strässchen nach Norden um; Fels und Fluh verschwinden, die grüne Rasendecke wölbt sich überm Schutte, und blau spannt sich der Himmel über den Weideflächen der Alp Ueberauf, einem der schönsten Alpenböden, wo der Weg bei den Schermen den höchsten Punkt, etwa 1361 m erreicht, 10 m überm Scheitel des Kunkelspasses. Etwa 200 m hinter den Schermen mündet er in den alten Kunkelsweg und findet nach 2193 m Länge sein Ende. Wir haben die Höhe von Tamins aus in etwas mehr als 2 Stunden gewonnen.
Die ganze imposante, von der Firma R. Wildberger u. Söhne projektierte Weganlage wurde am 14. Oktober 1914 nach erfolgter Kriegsmobilisation kollaudiert; sie hat einschliesslich der Verbesserung des Waldweges hinter dem Girsch 86,000 Fr. gekostet und bleibt ein ehrendes Zeugnis für die Gemeinde, die sie erstellen liess. Tamins hat damit 4 Alpen und sein liebliches Sommerdörfchen Kunkels um so wertvoller zu machen gewusst und sich für die Nutzung der ausgedehnten Waldungen in der Gegend des Kunkelspasses freie Hand verschafft. Kanton und Bund beteiligten sich mit 25 Prozent der Kosten im Betrage von 33,750 Fr. für eine angenommene Wegbreite von 2,5 m, die 67,500 Fr. erfordert hätte; die Mehrleistung für eine Ausführung des Alpweges in 3 m Breite übernahm die Gemeinde und sicherte sich so einen grossen Fortschritt. Das Erreichte blieb freilich hinter den Erwartungen einer frühern Zeit zurück, die in den 70er und 80er Jahren im Gedanken der Schöpfung einer Verkehrsstrasse Tamins-Vättis durch die Kantone Graubünden und St. Gallen gipfelten. Dieses Strassenprojekt hatte zu Beginn der 90er Jahre strategische Befürwortung durch die Obersten Hungerbühler, von Sprecher und Wassmer gefunden, und es fand darauf ein von den beiden Kantonsregierungen angeordneter Augenschein statt, der aber keine greifbaren Resultate lieferte. Trotzdem wurde in den Jahren 1896-97 die Projektierung von den Gemeinden Vättis, Tamins und andern Interessenten durchgeführt und auf Grund der Studien ein Kostenvoranschlag von 300,000 Fr. aufgestellt. Die Subventionierung durch die Kantone erfolgte jedoch nicht und infolge dessen auch kein Beitrag des Bundes, worauf 1911 das Strassenprojekt gänzlich fallen gelassen wurde. (Die im Vorstehenden benutzten technischen Notizen wurden einem von Hr. Kulturingenieur O. Good im „Bündner. Ing.- und Architektenverein“ am 3. März 1915 gehaltenen Vortrag entnommen, für welchen Hr. Präs. U. Färber-Tamins die historischen Daten geliefert hatte.) …
Die unübertrefflich schöne Flora der Bergwiesen, Quell- und Sumpffluren der freundlichen Maiensässe von Kunkels wird auf jeden Besucher von bleibendem Eindruck sein. … Wir folgen dem murmelnden, glucksenden Görbsbache zwischen den friedlichen Hütten. Etwa in halber Weglänge zwischen dem obern Kunkels und dem Dorfe Vättis, an der Grenzlinie von Graubünden und St. Gallen, öffnet sich zur Linken das Tälchen der Alp Ramuz… Eng ist das Tal und die Gebirgswelt von Vättis, aber seine nähere und weitere Umgebung bietet dennoch so Mannigfaltiges, Schönes und Belehrendes, dass sich ein Aufenthalt am Orte, wo die brausende Tamina den felsigen Engen des romantischen Calfeusertales entströmt, für jeden Alpenfreund reichlich lohnen muss.
(Quelle: Christian Tarnuzzer in: Alpina 1917, S. 94-97)

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