Der Drei-Schwestern Berg bei Frastanz

… Diese Drei Schwestern, – sie müssen ihrer Lage nach eine herrliche Aussicht darbieten, und sie sind auch so nahe, ihre Vorstufen reichen ja fast bis ins «Städtle» ((Feldkirch)) selbst herab, und doch, diese schöne Spitze, wie wenige Vorarlberger, ja sogar wie wenige Feldkircher Bergfreunde waren schon da droben? Hat doch erst vor zwei Jahren (1870) ein Feldkircher Herr, freilich kein eigentlicher Alpen-Besteiger, aber doch ein rechter Mann, der noch dazu als Jäger gar oft ins Saminathal geht, mir im Wirthshause zum Kreuz in Frastanz seine Verwunderung ausgedrückt, als ich behauptete, eben gerade von da herabgekommen zu sein: «Ja, kommt man denn da hinauf?»
Die Drei-Schwesternspitze sieht eben – oberflächlich und aus der Ferne betrachtet – nicht gerade so aus, wie zu einem Spaziergange geeignet. Sie ist eine eigentliche Felsenburg, schroff und nackt: keine Schneekehle, kein Rasenband führt zur Spitze hinan, ringsumher sind nur kahle graue Abstürze. So schaut’s aus. Und doch geht’s, wie bei so mancher anderen Bergspitze, ganz leicht und gut, wenn man nur weiss wo, und dieses wo hat mich eben damals vor zwei Jahren der alte Gemsjäger Wieser in Frastanz gelehrt, an den – wenn anders sich sein jetziges leider langwieriges Fussleiden bessert, – ein Jeder sich wenden mag, der mit wenig Mühe eine lohnende Bergfahrt und eine schöne Aussicht geniessen will.

Ich war im vorletzten Sommer zwei Mal auf der Drei-Schwesternspitze: das erste Mal lernte ich den Weg, das zweite Mal die Aussicht kennen.

Am 10. Juni (1870) fuhr ich bei anscheinend schönstem Wetter Abends über Nenzing nach Frastanz, kam erst ziemlich spät Nachts an, und bestellte mir den erwähnten Wieser, mit dem ich früher schon über die Partie gesprochen hatte, auf den folgenden Morgen. Im Wirthshause weckte man mich aber, trotz meines bestimmten Auftrages, nicht zu rechter Zeit, und so kam es, dass ich (durch einen Marsch ins Gamperton am vorhergehenden Tage ohnedem etwas ermüdet) den Schlaf, den man sonst den des Gerechten nennt, bis beinahe 5 Uhr Morgens schlief. 5 ½ Uhr brachen wir endlich auf und kamen erst nach 12 Uhr Mittags auf die Spitze, nachdem wir die letzten Stunden fast unausgesetzt durch Regen und Nebel gewandert waren. Nur der genauen Ortskenntniss meines Führer war es zu verdanken, dass wir überhaupt hinauf kamen: von Orientirung meinerseits, Aussicht oder dergleichen keine Rede! Den Abstieg bewerkstelligten wir nach Schaan im Lichtensteinischen; besser wäre Nendlen gewesen, was ich meinen etwaigen Nachfolgern zu Nutze bemerken will: das heisst, bei Nendlen ist man schneller drunten, nach Schaan hat man bessern Weg.

Am 25. desselben Monats machte ich den Gang wieder, diesmal ohne Führer, in Begleitung desselben Freundes, der schon mehrmals … meine vorarlbergischen Bergpartien mitgemacht hat. Diesmal machten wir’s anders. Schon vor 7 Uhr Abends (am 22.) waren wir in Frastanz, und stiegen noch denselben Tag bis zur Alpe Amerlug hinauf, wo wir zwar die freundlichste Aufnahme, aber auf den Stubenbänken der Sennhütte, – denn Heu war keines da, – eine nur allzuschmale und harte Nachtlagerstätte fanden. Schon um 3 Uhr Morgens waren wir darum auch wieder unterwegs und kamen trotz mehrfachem Aufenthalte 6 Uhr 20 Min. auf die Spitze, wo sich das herrliche Panorama ungetrübt vor uns ausbreitete.
Wir genossen dasselbe denn auch in vollen Zügen, indem wir uns, durch Karten, Compass und einen grossen mitgeschleppten Tubus unterstützt, volle zwei Stunden lang demselben hingaben.
Doch genug der Vorrede: wandern wir in Gedanken hinauf.
Hart neben derjenigen Saminabrücke, welche in Frastanz die alte Landstrasse über den Wildbach führt, zieht sich unser Weg an der linken Thalseite hinauf: ein guter, breiter Holzweg, meist sehr steil, theilweise durch schönen Tannen- und Buchenwald sich schlängelnd. Beim Emporsteigen eröffnet sich uns rückwärts allmählich eine immer weitere Aussicht in den grünen von der Ill durchströmten Walgau: …
In ¾ Stunden erreichen wir Amerlügen, eine zu Frastanz gehörende Gemeinde-Parzelle, eine malerische Gruppe braunhölzerner zerstreuter schon ganz alpenmässig aussehender Bauernhäuser, von den saftigsten Wiesen umgeben, dazwischen die letzten Obstbäume.
Bis hieher führt, wie gesagt, ein steiler Holzweg, auf dem zur Noth auch gefahren werden könnte. Nun aber folgt ein noch viel steilerer, trotzdem in seiner Art vortrefflicher Weg, ein Fussweg eigentlich, der übrigens auch noch zum Reiten gut genug wäre, und der sich wohl eine Stunde lang zwischen steilabfallenden grünen Matten und durch kleine Wäldchen bis zur Alpe Amerlug emporzieht.
Diese liegt auf einer runden gründen Rasenkuppe, die vom Sarüjaberg (auf der Generalstabskarte wohl irrthümlich Rojaberg genannt) nördlich vorgeschoben, die nordöstlichst vorspringende Ecke des Rhätikon bildet. Es ist dies – im Kleinen – ein vorzüglicher Aussichtspunkt. Wer auch nicht auf die Drei-Schwesternspitze selbst gehen will, der scheue die geringe Mühe nicht, wenigstens nach Amerlug hinaufzusteigen, (er kann es von Feldkirch aus auf viel kürzerem, als dem eben beschriebenen Wege, über Maria-Ebene nach Amerlügen,) und sehe sich mal da an einem klaren Sommertage den Sonnenaufgang an. Er muss freilich sehr frühe gehen, aber dafür kann er um 8 Uhr Morgens wieder zurück sein, und er wird um ein herrliches Naturbild, um eine unvergessliche Erinnerung reicher sein. Am schönsten freilich ist die Aussicht vom Kreuze aus, eine halbe Stunde weiter oben, aber es thut’s auch am ersten Grate, wo’s nach Fällengatter abstürzt, ein Paar hundert Schritte nördlich von den Sennhütten.
Natürlich ist da kein grossartiges Hochgebirgs-Panorama, aber doch ein köstliches Stück Alpenlandschaft sind da: Städte und Dörfer, Flüsse und Ebene, Wälder, Schluchten, Felsen, Alpenmatten und Bergesspitzen. …
Wir haben also in der Alpe Amerlug herzlich schlecht geschlafen, und sind schon, wie gesagt, um 3 Uhr Morgens wieder marschfertig.
Schwacher zauberischer Mondschein liegt über den Alpweiden ausgebreitet. Zuerst geht’s pfadlos über den wenig ansteigenden thaufeuchten Grasboden. Wie es heller wird, sehen wir, dass sich die Aussicht sowohl ins Ill- als ins Rheinthal vermindert, während sich dagegen das gerade vor uns liegende felsig-waldige Saminathal allmählich in allen seinen sonst tiefverschlossenen Theilen eröffnet.
Stellenweise kommen wir durch mächtigen Tannenwald, überall ist der Weg, wenn auch rauh, doch deutlich und unverkennbar. Bis zur Frastanzer Oberalpe Sarüja brauchen wir eine Stunde, und es ist unterdessen heller Tag geworden. … Nachdem wir die Hütte passirt haben, kommen wir an die Brunnentröge; eine köstliche, reichlich sprudelnde, auf unserm heutigen Marsche fast die einzige Quelle entspringt da, wenige Schritte oberhalb des Weges. Nun zieht sich dieser, immer etwas ansteigend, links um den östlichen Fuss des Drei-Schwesternberges selbst. Nach einer halben Stunde kommen wir plötzlich bei einer Wendung des Weges in ein ödes zerrissenes Felsgebirge hinein: da sind kahle Dolomitschrofen, steile steinige Bergrunsen, Legföhren und, wenn wir’s glücklich treffen, auch Gemsen. Darauf wieder eine Vertiefung, und dann nochmals hinauf, auf rauhem steinigen Pfade zu einem kleinen sanftansteigenden braun-grünlichem Bergkessel, zu der Alpe oder vielmehr zu dem Aelpchen Gersella. Es mag wohl ein kräftiges Gras da oben wachsen, aber jedenfalls ist dessen nur wenig. Eine Hütte ist da, ganz neu erbaut, in welcher ich bei meinem ersten Besuche mit meinem Führer Wieser während bösen Unwetters mehr als eine Stunde zubrachte, aber weder Bach noch Quelle ist dort, sondern nur ein paar schlechtgemauerte unterirdische Cisternen, die das spärliche Regen- und Schneeschmelz-Wasser aufsammeln sollen, gewiss in unsern sonst so wasserreichen vorarlbergischen Alpen etwas fast Unerhörtes!
Bis hieher haben wir uns, freilich in bedeutender Höhe über demselben, im Allgemeinen dem Laufe des Samina-Baches gemäss in südwestlicher Richtung gehalten. Der kleine Alpboden von Gersella aber erstreckt sich west-östlich, ist also ein Seitenthälchen, und zwar ein links einmündendes, der Samina-Schlucht, und wir biegen hier darum auch von unserer bisherigen Richtung nach Westen ab. Doch nur eine kurze Strecke weit, denn eben hier wird zur Drei-Schwesternspitze aufgestiegen, deren östlichen Fuss wir umgangen haben, und deren höchsten Punkt wir – fast genau im Norden – direct über uns erblicken.
Bis hieher kann ein Jeder gehen: von hier an aber möge es ein Jeder wenigstens versuchen, denn Gefahr ist nicht dabei. Wenn er Zeit genug hat, so kommt er schon hinauf, sonst aber möge er sich das erste Mal führen lassen: wenn er erst nur einmal das rechte Felsenloch weiss, dann kann es nimmer fehlen, andernfalls fehlts – beim ersten Anlauf wenigstens – ganz gewiss! Es war schon mancher in Gersella, der nicht geglaubt, dass man auf den «Kopf» kommen könne: sie haben es nur nicht ernstlich versucht, weil es auf den ersten Blick abschreckend aussah.
Von der Gerseller Hütte aus geht’s noch einige Minuten lang in westlicher Richtung sanft ansteigend durch die Thalmulde empor, dem Sattel zwischen den «Drei-Schwestern» (rechts) und dem «Gersella Kopf» (links) entgegen. Dann wenden wir uns scharf nach rechts, und steigen über Legföhren und Steingerölle, bis zum Fusse einer steilen Felsenschlucht, deren sich auf dieser Seite zwei oder drei von dem südlichsten (höchsten) der Drei-Schwestern-Köpfe herabziehen. Durch diese Felsenrunse ohne besondere Schwierigkeit emporkletternd, und darauf noch einige zwar steile aber ungefährliche «Schrofen-Ecken» übersteigend, gelangen wir in kaum ¾ Stunden von der Gerseller Alphütte auf die Spitze, die, obgleich stark zerklüftet und fast allseitig senkrecht abstürzend, dennoch für mehrere Personen hinlänglich Raum darbietet. …
(Von J. Sh. Douglass in Thüringen)
(Quelle: ZDOAV 1873)

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